Hier lodert politisches Feuer. «Hoffentlich kommt noch der Tag, wo wir vergelten können, was am Volke und an Deutschland gesündigt, dann soll die wohlverdiente Strafe am härtesten treffen», schrieb August Bebel 1867. Der ehemalige Drechslergeselle Bebel (1840–1913) war ein führender Politiker der deutschen Arbeiterschaft, die sich in jenen Jahren parteipolitisch organisierte. Zuerst traf ihn die Strafe freilich selbst: 1872 sass Bebel erstmals monatelang in Haft wegen «Vorbereitung zum Hochverrat». Es sollte nicht sein letzter Aufenthalt im Gefängnis gewesen sein.
Bebel war nicht nur der Märtyrer der unterdrückten Arbeiterklasse, wie ihn seine Kampfgenossen sahen. Bebel war auch ein erfolgreicher Unternehmer, ein Aufsteiger, der in seiner Jugend Armut gekannt hatte. Das ist zumindest das Bild, das der deutsche Historiker Jürgen Schmidt in seiner neuen Biografie «Kaiser der Arbeiter» über Bebel vermittelt, die zum 100. Todestag erschienen ist.
Widersprüche
Sozialist und Unternehmer – geht das im klassenkämpferischen 19. Jahrhundert? Tatsächlich verstrickte sich Bebel – zumindest aus heutiger Sicht – in offenkundige Widersprüche. So baute er nach seinen Gesellenjahren eine profitable Drechslerei auf, die Türfallen und Fensterklinken im gesamten deutschsprachigen Raum verkaufte. Gleichzeitig glaubte er an den von Karl Marx im «Kommunistischen Manifest» prophezeiten Untergang des Kleinbetriebs, der gegen die «Ausdehnung der modernen Industrie» keine Chance habe: «. . . und widerlegte seine theoretische Prämisse gleichzeitig mit der eigenen Erfolgsgeschichte», wie Autor Schmidt schreibt.
Im Wohlstand
1872 war Bebels Unternehmen sicher etabliert. Er zog sich zurück, seine Frau führte die Geschäfte erfolgreich weiter. Er war in seinen späteren Jahren sogar Besitzer einer Villa in Küsnacht an der Zürcher Goldküste. Seine bürgerlichen Gegner verwiesen zwar genüsslich auf den Wohlstand des Roten, aber seiner Anerkennung in der Arbeiterschaft schadete das nicht. Im Gegenteil: «Der finanziell-materielle Erfolg sowie das gewonnene soziale und kulturelle Kapital manifestierten den Fortschritt – und an den glaubten die Anhänger der Sozialdemokratie», konstatiert Schmidt. Bebels Rhetorik war links, seine Taten blieben pragmatisch.
Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, sein Vater verstarb 1844, als der kleine August gerade vier Jahre alt war. Seine fast mittellose Mutter lebte an der Grenze zur Armut und verschied zehn Jahre später. Bebel verstand es, sich weiterzubilden, und wurde Drechsler. Mit 24 Jahren eröffnete er in Leipzig seine eigene Werkstatt.
1866 heiratete er Julie Otto, die Tochter eines Eisenbahners, das Paar hatte eine Tochter. Bebel hatte für die damalige Zeit kein patriarchalisches Frauenbild. Sein Buch «Die Frau und der Sozialismus» wurde zum Bestseller und trug sogar zu seinem materiellen Wohlstand bei. Dennoch gemahnen die Fotografien der Familie Bebel an gutbürgerliches Glück und keineswegs an antikapitalistischen Widerstand ausserhalb der Gesellschaft. Immer wieder zog es die Familie in die Schweiz, sie erachtete das Land als ein Refugium in den europäischen Turbulenzen. Bebels Tochter heiratete schliesslich den Zürcher Arzt Ferdinand Simon.
Nach dem Tod seiner Frau 1910 lebte Bebel mit seiner Tochter an der Zürcher Usteristrasse. In seiner Schweizer Zeit konnte er sich wegen seiner schwachen Gesundheit kaum mehr politisch betätigen, auch wenn er eine anerkannte Persönlichkeit der deutschen Sozialdemokratie blieb; in der Schweiz half er mit, das neue Parteiorgan «Vorwärts» zu finanzieren. Am 13. August 1913 verstarb er bei einem Kuraufenthalt in Passugg.
Antinationalist
Jürgen Schmidt hat eine einfach lesbare Biografie aus bürgerlicher Sicht geschrieben. Allerdings unterschätzt er einen wichtigen Aspekt von Bebels politischem Engagement: Der Sozialistenführer war ein radikaler Antinationalist und erkannte die Katastrophe des Ersten Weltkriegs frühzeitig. Bebel war über den deutschen Imperialismus, insbesondere über die Flottenaufrüstung, dermassen besorgt, dass er über Beziehungen in der Schweiz geheimen Kontakt zu den britischen Behörden suchte, um sie vor dem drohenden Unheil zu warnen – das war ungewöhnlich für einen der führenden Politiker im damals nationalistisch aufgeheizten Klima Europas. Rolf Hürzeler
Buchvernissage
Mo, 12.8., 19.00
Gelber Saal, Volkshaus Zürich
Jürgen Schmidt
«Kaiser der Arbeiter»
283 Seiten
(Rotpunktverlag 2013).