Senioren erinnern sich an «I Love Lucy»: Diese US-amerikanische Sitcom-Serie war in den 1950er-Jahren der erste durchschlagende Publikumserfolg des damals neuen Mediums Fernsehen. «Lucy» liess indes die Zornesadern besorgter Kulturkritiker anschwellen – «Volksverdummung» lautete das Fazit.
Das ist der Hintergrund des neuen Romans «Miss Blackpool» des englischen Schriftstellers Nick Hornby, seinen ersten seit fünf Jahren. Die bildschöne, aber ungebildete Barbara Parker wird im nordenglischen Chilbi-Badeort Blackpool im Bikini zur «Miss» gekürt. Sie gibt den Titel jedoch nach einer Viertelstunde zurück, denn sie fühlt sich zu Höherem berufen – sie will eine «Lucy» werden, eine Sitcom-Schauspielerin im Fernsehen.
Daraus entwickelt Autor Nick Hornby eine köstliche Komödie, ein Sittenbild der früher 1960er-Jahre, als London noch nicht «Swinging» war, die Beatles aber schon berühmt. Die Handlung von «Miss Blackpool» entwickelt sich rasant. Der Leser kann sich die Helden wie im Film als Sitcom-Figuren vorstellen – allen voran die unwiderstehliche «Miss Blackpool».
Der englische Schriftsteller Nick Hornby ist seinen Flegeljahren längst entwachsen. Man erinnert sich an seine Fussball- und Popromane «Fever pitch» und «High Fidelity», mit denen er in den 1990er-Jahren nach Margaret Thatcher den Zeitgeist von Cool Britannia exakt getroffen hatte.
Ewiger Arsenal-Fan
In der Zwischenzeit ist der 57-jährige Hornby ein etablierter Kulturschaffender geworden, der das Drehbuch für den Kinofilm «An Education» geschrieben hat, das ihm eine Oscarnomination einbrachte. Aber ganz erwachsen ist Nick Hornby nicht geworden. In Interviews schwärmt er immer noch vom Fussballclub Arsenal («Das Stadion ist nur wenige Gehminuten von meinem zu Hause») und von seinem Listenfimmel. Hornby liebt Listen, zum Beispiel von Büchern, die man nicht fertig lesen muss. «Miss Blackpool» gehört verständlicherweise nicht dazu. Denn die Geschichte ist unterhaltend.
Mit Wagemut ans Werk
Die schöne Barbara Parker aus Blackpool macht sich mit einer gehörigen Portion Wagemut und noch mehr Naivität nach London auf, um ihr Glück als Komödiantin zu finden. Doch wie das Leben so spielt: Auf dem Weg zur Sonne ergeben sich zwei, drei Hindernisse, zumal das Girl ziemlich mittellos ist. Doch das Mädchen lässt sich nicht unterkriegen und bekommt tatsächlich ihre erste Fernsehrolle in einer Sitcom. Barbara Parker begeistert den Regisseur Dennis sowie die beiden schwulen und ziemlich fantasielosen Drehbuchautoren derart, dass sie die TV-Serie gleich auf Barbara umschreiben. «Barbara (and Clive)» wird beim Publikum ein Riesenerfolg. Die beiden sind ein Ehepaar, das sich in jeder Episode neu zusammenraufen muss, etwa wenn bei ihm im Bett die «Hydraulik» zu wünschen übrig lässt, und zuletzt landen sie sogar bei einer exaltierten Eheberaterin. Aber wie immer bei dieser Art von Humor sind die Warner vor dem kulturellen Niedergang schnell zur Stelle.
Einer von ihnen heisst Vernon Whitfield und ist praktischerweise gleich der Liebhaber der Ehefrau des Sitcom-Regisseurs Dennis. Whitfield ist Moderator beim BBC-Kultursender Radio 3 , wo er die Sendung «Sartre, Stockhausen und der Tod der Seele» präsentiert, die zwar keiner hört, dafür aber klug ist: «Dennis hasste Vernon persönlich, und er hasste Leute wie ihn aus philosophischen, politischen und kulturellen Gründen.»
Im Kulturkampf
Für Dennis ist Kultur das, was dem Publikum am meisten gefällt, für Vernon dagegen nur das, was Akademiker verstehen – demokratisches Kulturverständnis versus elitären Dünkel. Eine Diskussion, die ziemlich modern anmutet. Die Debatte entwickelte sich zu einem televisionären Showdown zwischen den beiden Antagonisten in der Talkshow, wo der Regisseur den Intellektuellen zur Schnecke macht – der Leser hat den Eindruck, Hornby führe hier einen Kampf in eigener Sache.
Der Gegensatz zwischen diesen Figuren und das Zusammenspiel der beiden ideenlosen Drehbuchautoren provozieren beim Leser am meisten Lacher. Barbara Parker dagegen bleibt eher blass. Sie spielt zwar eine witzige TV-Rolle, ist aber alles andere als eine lustige Romanfigur. Im Gegenteil: Die Schönheit aus dem provinziellen Norden ist fast ein bisschen zu gut geraten, um glaubhaft zu wirken.
Nick Hornby
«Miss Blackpool» 428 Seiten
(Kiepenheuer & Witsch 2014).
«I Love Lucy» – die Sitcom
Der US-amerikanische TV-Sender CBS strahlte in den 1950er-Jahren fast 200 Episoden der Sitcom «I Love Lucy» aus. Diese Reihe gilt als Vorlage für zahlreiche spätere TV-Serien, in der Schweiz etwa «Fascht e Familie». Im Mittelpunkt von «I Love Lucy» steht die Hausfrau Lucy (Lucille Ball), die sich als geborene Entertainerin sieht, zumal ihr Latino-Macho-Mann Desi Arnaz ein Unterhaltungslokal führt. Aber dieser sieht seine attraktive Angetraute lediglich als Hausmütterchen, also exakt das, was Lucy langweilt. So hat sie immer wieder Ideen, im Showbiz doch noch Karriere zu machen, die meist in einem Desaster enden. «I Love Lucy» war weltweit ein Riesenerfolg; der englische Schriftsteller Nick Hornby wählte die Serie nun als Ausgangspunkt für seinen Roman «Miss Blackpool».