Am Schluss war er fast ganz oben. Nach einsamer Kindheit als Waise in der Mailänder Gosse, nach Verfolgung als Staatenloser und wilder Ehe in Armut spürte Giovanni Segantini kurz vor seinem Tod endlich Anerkennung und Erfolg. Weit oben entstand auch sein letztes Bild «Sein», eine Allegorie auf die Natur und das Leben. Es zeigt den atemberaubenden Blick auf die Oberengadiner Berg- und Seenlandschaft, eingefangen auf dem Schafberg bei Pontresina, 2700 Meter hoch. Dort starb Giovanni Segantini 1899 erst 41-jährig an einer Bauchfellentzündung.
Der Zürcher Dokfilmer Christian Labhart widmet dem kurzen, bewegten Leben und dem Werk des heute weltbekannten Symbolisten seinen neuen Film «Giovanni Segantini – Magie des Lichts». Labhart spricht von einem «filmischen Essay», denn er habe sich vom «Ballast der Interpretation» befreit. Er verzichtet auf Expertenstimmen und kommentiert auch selbst nichts; nur Segantini hat das Wort. Labhart kombiniert Aufnahmen von dessen Bildern mit Auszügen aus seinen Briefen und autobiografischen Aufzeichnungen, gelesen von Bruno Ganz. Eingestreut sind historische Fotos, untermalt mit Zitaten aus dem biografischen Roman «Das Schönste, was ich sah» der deutschen Autorin Asta Scheib.
Kameramann Pio Corradi zeichnet Segantinis Leben vom Geburtsort Arco über Mailand, Savognin und Maloja bis auf den Schafberg aus aktueller Optik in fantastischen Aufnahmen nach. Geiger Paul Giger liefert mit Mitmusikern eine Tonspur aus Werken von Bach, Mozart und Giger. Diese dritte Bild/Ton-Ebene kommt einer Interpretation von Segantinis Werk oft sehr nahe, was allerdings keineswegs stört. Eine Schwäche von Labharts Film ist nämlich gerade die allzu distanzlose Zementierung der Legende Segantini, die zuweilen gar ins Pathos kippt.
Magisches Leuchten
Dennoch ist der Film höchst sehenswert für jene, die Segantinis Malerei mögen. Mit einer Spezialkamera kommt Pio Corradi den monumentalen Bildern so nahe, dass deren magisches Leuchten noch eindringlicher wirkt. Die im Untertitel angesprochene Magie des Lichts wird auf diese Weise buchstäblich ins Bild gesetzt. Und entschlüsselt, denn Segantini hat über die Entstehung seiner Bilder ausführlich geschrieben. Diese Texte erklären deren Symbolkraft, die in seiner traumatisierten, gespaltenen Innenwelt gründet. Er habe malend den Schmerz seiner Kindheit verarbeitet, schrieb Segantini einmal. Seine Farben seien Ausdruck seiner Gefühle. Was lapidar klingen mag, wirkt erhellend angesichts dieser Bilder, die niemanden kalt lassen.
Labhart, der erst mit 50 vom Lehrerberuf ins Filmfach wechselte, hat in seinen bisherigen Dokfilmen Bereiche wie Erziehung, Musik und Anthroposophie thematisiert. Internationale Erfolge wurden «Die Brücke von Mitrovica» (2002), «Zum Abschied Mozart» (2006) oder «Appassionata» (2012).
Giovanni Segantini – Magie des Lichts
Regie: Christian Labhart
Ab Do, 11.6., im Kino