kulturtipp: Sind Sie gut durch den Zoll gekommen?
Patricia Kopatchinskaja: Ich bin sehr vorsichtig geworden, aber ich spreche nicht mehr darüber.
Wie auch immer: Als der Zürcher Zoll 2010 ihre millionenteure Guarneri-Geige beschlagnahmte und sie stundenlang verhörte, wusste das schnell die halbe Welt. Ihrem Ruf schadete der Vorfall nicht – im Gegenteil: Sie waren sogar im Finale der Swiss Awards.
Das war mir nicht ganz geheuer.
Wurden Sie, die mit Absicht so viele Umwege ging und auch das Sperrige nicht fürchtet, plötzlich von allen verstanden?
Ich glaube, es ist viel trivialer. Da war diese Geschichte mit dem Zoll, und da ist der Umstand, dass ich barfuss spiele. Das ist im Bewusstsein der Menschen hängen geblieben. Schade, dass man heute nur durch Äusserlichkeiten Aufmerksamkeit gewinnt.
Es wäre an der Zeit, in ganz normalen Schuhen auf die Bühne zu gehen.
Das sagt meine Mutter auch. Ich sehe dem mit einem Lächeln zu – und mit Distanz.
Sie haben einmal gesagt, dass Musik zu Fragen anregen soll. Zu Fragen wie: Weisst du, was du bist? Was ist Musik? Wissen Sie, was Sie sind?
Ich bin ein Nichts und weiss nicht, was ich bin. Ein befreundeter Schauspieler sagte mir vor kurzem, dass Interpretation ein falscher Kunstbegriff sei. Wir Künstler seien vielmehr Übersetzer. Man muss die Musik und das, was man spielt, verkörpern. Als Privatperson gehe ich in der Migros einkaufen. Das geht niemanden etwas an. Interessant ist, wenn ich zum Tschaikowski-Konzert werde, wenn ich das Volksfest im 3. Satz spiele und tanze.
Aber das frisst Sie doch auf?
Ja, klar. Tschaikowski frisst jeden Geiger auf.
Das heisst: Musik ist zerstörerisch?
Auf keinen Fall! Ich sauge die Musik auf, erwecke sie zum Leben – und dann macht sie in meiner Seele und mit meinem ganzen Körper mitsamt den Genen eine wilde Reise.
Können Sie die Zeit auf der Bühne geniessen?
Es muss ein Genuss sein, sonst kriegt man Schmerzen – etwa wenn man plötzlich besser sein will, als man es im Moment sein kann. Man muss sich auf der Bühne immer Zeitblasen schaffen. In diesen spielt man nicht auf Sicherheit, sondern auf Risiko.
Gibt es den Genuss nur während des Spiels?
Ja, nur dann. Als Komponistin hätte ich meinen Genuss während des Komponierens. Ich aber komponiere sozusagen auf der Bühne. Das ist mein Moment des Wiedererschaffens.
Und danach?
Danach ist Verzweiflung, Enttäuschung, Selbstkritik. Ich kann nicht schlafen und denke an all die Töne, die nicht gut gekommen sind.
Kann Applaus helfen?
(zögert) Selten. Aber ich bin dankbar, wenn das Publikum herzlich und offen ist. Ich spüre stark, wenn da eine Distanz ist, die ich nicht durchbrechen kann.
Stimmt es, dass Sie bei einem Mozart-Konzert mal ausgebuht wurden?
Ja, einmal. Das war ein sehr starkes Erlebnis, das ich immer gesucht hatte. Als es dann tatsächlich geschah, war es brutal. Auch wenn nur ein Einziger gebuht hat – seine Autonummer trug die Köchelverzeichnis-Nummer des Stückes, das ich aufgeführt hatte. Er hatte offenbar eine ganz bestimmte Vorstellung von diesem Konzert. Wer mit einer vorgefertigten Meinung ins Konzert kommt, kann bei mir nur enttäuscht werden.
Sie spielen gegen den Konsens an und werden dennoch von der Mehrheit bejubelt.
Das Publikum hat sich an mich gewöhnt. Es erwartet genau das, was ich durch die Musik versuche, verständlich zu machen. Es gibt eben auch andere Wege neben Perfektion und der immergleichen Fassung eines Stückes, die man von den Schallplatten her kennt. Ich glaube, Kunst muss einen Menschen auch mit Dingen konfrontieren, die er nicht mag.
Soll ein Konzert in die Irre führen?
Es muss in die Irre führen. Die Musik hat eine grosse Kraft, sie dient nicht zur Massage. Ein Konzertsaal ist keine Wellnessoase.
Patricia Kopatchinskaja
Patricia Kopatchinskaja wurde 1977 in Chisinau – damals UdSSR, heute Hauptstadt Moldawiens – geboren. 1989 emigrierte die Familie nach Wien. Im Alter von 21 Jahren wechselte sie als Stipendiatin ans Konservatorium in Bern, wo sie bis heute mit ihrem Mann und ihrer Tochter wohnt. 2002 gewann sie in Luzern den Credit Suisse Young Artist Award.
CDs
Patricia Kopatchinskaja, Markus Hinterhäuser, Reto Bieri
Galina Ustvolskaya
(ECM 2014).
Patricia Kopatchinskaja Rapsodia (Naïve 2010).
Patricia Kopatchinskaja, Fazil Say
Beethoven, Ravel, Bartok, Say (Naïve 2008).
Konzerte
Migros Classics
Mit Royal Stockholm Philharmonic Orchestra. Leitung: Sakari Oramo
Do, 19.3., 20.00 Victoria Hall Genf
Fr, 20.3., 19.30 Tonhalle Zürich
Sa, 21.3., 19.30 Kultur Casino Bern
So, 22.3., 19.30 Tonhalle St.Gallen