So traurig kann ein Weggang sein. «Und nun gab auch Mr. Harding seinem Schmerz nach und weinte laut.» Denn der Mann musste Abschied von seinem Armenhaus Hiramsspital nehmen, das er jahrelang geleitet hatte. Der tapfere Bürger war das Opfer eines Reformisten geworden, der nicht verstehen konnte, warum Mr. Harding 800 Pfund im Jahr bezog, ohne dass er viel zu leisten hatte. Während seine Zöglinge im Heim mittellose Armenhäusler blieben.
Im Widerstreit
«Septimus Harding, Spitalvorsteher» heisst das erste Buch der «Barchester Chronicles» des viktorianischen Schriftstellers Anthony Trollope (1815–1882). Der Roman wurde nun bei Manesse neu aufgelegt. Trollope erzählt den gesellschaftlichen Fall Hardings, eines angesehenen Bürgers im fiktiven westenglischen Barchester, «einem Domstädtchen wie Wells oder Salisbury». Harding gerät in den Widerstreit zwischen dem Bewahrer Dr. Theophilus Grantly, Erzdiakon und sein Schwiegersohn, sowie dem Erneuerer John Bold, der am Ende der Geschichte paradoxerweise die zweite Tochter Hardings ehelichen wird.
Autor Trollope bezieht keine Stellung zwischen diesen Antipoden, wie die Anglistin Doris Feldmann im Nachwort schreibt: «Hier kommen beide Seiten zur Sprache, ohne dass eine Position absolut gesetzt oder verteufelt wird.» Aber der Leser spürt stets das Unbehagen des Schriftstellers, dass reformerischer Eifer die etablierten und bewährten Strukturen der englischen Mittelklasse durcheinanderbringt. Typisch dafür ist sein Misstrauen in die aufkommende Massenpresse wie die Zeitung «Der Jupiter», die im «Spitalvorsteher» der «Times» nachempfunden wurde und über eine unkontrollierte Macht verfügte.
Dieses Misstrauen gegenüber Veränderungen hat mit Trollopes Herkunft zu tun. Er wuchs in einem bürgerlichen Milieu auf. Doch sein Vater, ein verkrachter Rechtsanwalt, musste mit der Familie nach Belgien flüchten, um dem Schuldgefängnis zu entkommen.
Manischer Schreiber
Die Mutter brachte die Familie mit Schreiben durch; sie veröffentlichte zahlreiche Romane, die im 19. Jahrhundert recht erfolgreich waren. Diese turbulente Jugendzeit war für Trollope traumatisch. Er selbst wurde zum manischen Schreiber, ohne aber auf eine sichere Anstellung zu verzichten. Er arbeitete tagsüber als Postbeamter in Irland und griff nachts zur Feder, um seine Romane zu schreiben. Er brachte es auf mehr als 50 Werke.
Trollope war kein Erneuerer wie sein Zeitgenosse Charles Dickens und führte auch kein unkoventionelles Leben wie George Eliot. Über Dickens machte er sich im «Spitalvorsteher» sogar mit der Figur «Mr. Popular Sentiment» lustig. Trollope bezeichnete sich als einen «liberalen Konservativen», der die Kunst des Schreibens als einen Broterwerb wie jeden anderen verstand. Mit dem Vorteil, dass er damit seinen subtilen gesellschaftlichen Witz zur Geltung bringen konnte.
Buch
Anthony Trollope
«Septimus Harding, Spitalvorsteher»
Deutsche Erstausgabe: 2002
Neu aufgelegt bei Manesse 2015.