«Als Konrad Lang zurückkam, stand alles in Flammen, ausser dem Holz im Kamin.» So explosiv beginnt Martin Suters Roman «Small World». Sein Protagonist hat aus Versehen die Ferienvilla auf Korfu in Brand gesteckt – statt des Holzhaufens im Kamin, hat er den Stapel daneben angezündet. Der über 60-jährige Konrad Lang leidet an Alzheimer, wie der Leser später erfährt. Die kleineren und grösseren Missgeschicke mehren sich, und schliesslich vergisst er sogar den Namen seiner Liebsten.
Noch schwerer wiegt allerdings seine wiederkehrende Erinnerung an Details aus vergangenen Zeiten. Seine Kindheit und Jugend hat er als Ziehsohn bei einer wohlhabenden Industriellenfamilie verbracht. Eng befreundet war er mit dem Sohn der Konzernchefin Elvira Senn. Diese bekommt nun kalte Füsse, als sie merkt, dass sich der demente Konrad plötzlich so stark an die Vergangenheit erinnert. Denn dort liegt ein dunkles Familiengeheimnis begraben, das sie unter Verschluss halten will – und dazu ist ihr jedes Mittel recht.
Der Debütroman des damals 47-jährigen Werbers und «Business-Class»-Kolumnisten Martin Suter gehört zu seinen besten Werken. Sein Bestseller-Rezept – eine süffig geschriebene, dramaturgisch fein komponierte und packende Handlung – kommt hier erstmals zum Zug. «Small World» avanciert vom Familiendrama zum regelrechten Thriller. Zudem ist der Roman aber auch das feinfühlige Porträt eines Mannes, der nach und nach sein Erinnerungsvermögen und sich selbst verliert.
«Small World» wurde 2010 mit Gérard Depardieu und Alexandra Maria Lara unter der Regie des Franzosen Bruno Chiche verfilmt.
Martin Suter
«Small World»
336 Seiten
Erstausgabe: 1997
Erhältlich im
Diogenes Verlag.
TV
Do, 25.7., 20.00 SRF 2
Roman
Privates Glück
Es könnte eine kleine Familien-Idylle sein, wenn die Wirtschaftskrise nicht wäre: Johannes und Emma lieben sich, und als sie schwanger wird, macht er ihr einen Heiratsantrag. Doch Johannes verliert seine Stelle, und die beiden müssen sich in harten Zeiten durchschlagen.
Mit «Kleiner Mann – was nun?» von 1932 gelang dem deutschen Schriftsteller Hans Fallada, dessen Geburtstag sich am 21. Juli zum 120. Mal jährt, der Durchbruch. In seinem mit Umgangssprache gespickten Roman bildet er die Realität präzise ab und veranschaulicht die Nöte der kleinen Angestellten. Heute kann das Werk als Dokument der Weimarer Republik gelesen werden, das in Zeiten der globalen Wirtschaftskrise durchaus nicht der Aktualität entbehrt – auch wenn sich das alleinige Glück nicht nur im Schoss der Familie finden lässt, wie bei Hans Fallada. (bc)
Hans Fallada
«Kleiner Mann – was nun?»
432 Seiten
Erstausgabe: 1932
Heute erhältlich im Rowohlt Verlag.
Falsches Mitleid
Eindringlich zeigt der einzige Roman des österreichischen Autors Stefan Zweig (1881–1942) «Ungeduld des Herzens», was falsches Mitleid auslösen kann. Der junge k.u.k.-Leutnant Anton Hofmiller fordert bei einem Fest eines ungarischen Adligen versehentlich dessen gelähmte Tochter Edith zum Tanz auf – diese bricht in Tränen aus. Von Schuldgefühlen geplagt, macht er ihr fortan seine Aufwartung und verlobt sich gar mit ihr. Edith verwechselt sein Mitleid mit Liebe. Als sie erfährt, dass er öffentlich nicht zu ihr steht, nimmt das Drama seinen Lauf. Zweig lotet minutiös die Psyche eines jungen Mannes aus, der in widersprüchlichen Gefühlen gefangen ist. Für heutige Verhältnisse mag sein Roman zwar etwas langfädig sein; die Seelenregungen, die er beschreibt, sind jedoch zeitlos. (bc)
Stefan Zweig
«Ungeduld des Herzens»
464 Seiten
Erstausgabe: 1939
Heute erhältlich im Fischer Verlag.
Hörspiel
Sa, 20.7., 15.05 BR 2