Der Gegensatz zwischen bescheiden und gross fasziniert ihn seit je. So singt Jürg Kienberger auf der Opernhaus-Bühne in der Marthaler-Produktion «Sale» im Duett mit Anne Sofie von Otter. Und auf der Kleintheater-Bühne in Luzern lässt er im Solo-programm «Ich Biene – ergo summ» die Bienen summen.
Künstlerische Inspiration erfuhr Kienberger schon früh; er ist als Hoteliersohn im Grandhotel Waldhaus im bündnerischen Sils-Maria aufgewachsen. Am liebsten hat er dort jeweils vom oberen Stock aus unbemerkt in den Speisesaal geschaut und dem legendären Trio gelauscht. Schon bald hat er sich selbst am Hotelklavier versucht – und liess sich auch von einem berühmten Gast nicht entmutigen. «Geits au chli langsamer?», soll ihn Dürrenmatt einst gefragt haben, als sich der Junge zu einem wilden Staccato am Klavier hinreissen liess.
Schlechter Notenleser
Das Zuhören vom oberen Stock aus hat ihn geprägt. Noch heute findet der graugelockte Multiinstrumentalist den Zugang zur Musik durchs Gehör und liest schlecht Noten. Der unkoventionelle Zugang ist ihm geblieben, auch wenn er inzwischen in mancher Grossproduktion wie etwa dem Einsiedler Welttheater die musikalische Leitung innehatte. Die Musik entwickelt sich bei ihm erst durch das Experimentieren und Ausprobieren. Für manche sei das gewöhnungsbedürftig, meint Kienberger lächelnd.
Über mangelnde Engagements kann er sich nicht beklagen. Zum Interview kommt er direkt von den Proben zum Molière-Stück «Der Bürger als Edelmann» im Zürcher Schauspielhaus, das er als musikalischer Leiter und in der Rolle des Musikmeisters zusammen mit Regisseur Werner Düggelin auf die Bühne bringt. Und abends wird er im Schiffbau in «Das Leben der Bohème» den melancholischen Komponisten Schaunard geben.
Der Rollenwechsel innert kürzester Zeit bereitet ihm keine Mühe: «Spätestens wenn ich das Kostüm anhabe, ist die aktuelle Rolle abrufbar.» Meist hat er zu seinem Part einen persönlichen Bezug: Der liebste Auftritt ist ihm zurzeit «Novecento» aus dem gleichnamigen Musiktheater-Stück über einen Ozeanpianisten, der sein ganzes Leben lang nie das Schiff verlässt. «Novecento passt zu meinem Aufwachsen. Ein Überseeschiff kann man gut mit einem Hotel vergleichen, in dem die ganze Welt zu einem auf Besuch kommt, ohne dass man selbst einen Fuss nach draussen setzen muss.»
Mit leiser Heiterkeit
Bei Kienbergers Erzählungen schwingt meist feiner Humor mit. Diesen teilt er mit Regisseur Christoph Marthaler, mit dem er bereits zahlreiche Projekte verwirklicht hat. Zur leisen Heiterkeit regen aber auch seine musikalischen Soloprogramme an, die er mit seiner Frau, der Regisseurin Claudia Carigiet, entwickelt. Mit «Ich Biene – ergo summ» hat er dem Bienenvolk in der Garage ihres Landhauses im Elsass einen Abend gewidmet. Und im geplanten Programm «Ich bin zum Glück zu zweit» beschäftigt er sich – unterstützt von einem jungen Akrobaten – auf humorvolle Weise mit dem Älterwerden. «Ein Thema mit viel Identifikationsmöglichkeit», sagte er, «manchmal mutet man sich zu viel zu und merkt, dass es mit zunehmendem Alter etwas strenger wird.»
Aufführungen
Der Bürger als Edelmann
Premiere: Do, 6.2., 20.00 Schauspielhaus Zürich
Novecento. Die Legende des Ozeanpianisten
Di/Mi, 11.2./12.2., jew. 20.00 Schauspielhaus Zürich