Der dritte US-Präsident Thomas Jefferson hasste die Sklaverei. Und er liebte Sally Hemings. Mit der ehemaligen Sklavin seiner Frau hatte Jefferson eine innige Affäre. Drei Kinder hatten sie zusammen.
Auch beim damaligen britischen Schatzmeister ging es heiss zu und her. Die Lesegruppe von Sir Francis Dashwood besprach pornografische Texte, lud dazu Stripperinnen ein und onanierte zum Abschluss gemeinsam. Dafür hatte sich Dashwood eigens einen Venustempel bauen lassen – in Form einer riesigen Vagina.
Wandel der Moral
Ehebruch, sexuelle Riten und Prostitution waren bei der liberalen Oberschicht im 18. Jahrhundert nichts Aussergewöhnliches. Erstaunlich aber: Sie versteckte es auch nicht. Das zeigt die Analyse des britischen Historikers Faramerz Dabhoiwala. Sein neues Buch «Lust und Freiheit» wertet alle möglichen Quellen zum Thema Sexualität aus: Mit Zeitungsausschnitten und Bildern zeigt es beispielsweise auf, wie wenig prüde das 18. Jahrhundert war. So berichteten Zeitungen lustvoll über Orgien bei Politikern. Und Drucker verbreiteten massenweise Bilder von Kurtisanen und Mätressen.
150 Jahre zuvor war das undenkbar. Christliche Reformatoren und katholische Humanisten im 16. und 17. Jahrhundert sahen sich als Wahrer der Keuschheit. Ihr Ziel: eine schöne neue Welt, «von Gott geweiht und von Sünden gereinigt». Sie forderten harte Strafen gegen Ehebrecher, Prostituierte und gegen Sünder, beispielsweise Homosexuelle. So stand das unverheiratete Paar Susan Perry und Robert Watson am 10. März 1612 vor Gericht. Angeklagt waren sie wegen ausserehelichem, aber einvernehmlichem Sex. Weil daraus auch noch ein Kind hervorging, befanden die Geschworenen die Tat als besonders «abscheulich». Der Richter schickte die beiden ins Gatehouse-Gefängnis, wo man sie bis zu den Hüften auszog und auspeitschte. Danach wurden sie aus der Stadt verbannt und verloren alles: Familie, Freunde, Haus und Geld.
Nicht besser ging es einer Frau, die 1642 der Prostitution angeklagt war. Das Gericht entschied, sie zuerst durch die Stadt zu führen, dann an den Pranger zu stellen, in die Themse zu tauchen und schliesslich zu verbannen.
Affären versus Gott
Schon im antiken Ägypten, Rom und Griechenland stand Sex mit einer verheirateten Person unter Strafe. Auch das sechste Gebot im Juden- und dem Christentum verbietet aussereheliche Affären. Grund für die Verbote: die Angst davor, Gott zu beleidigen und eine Kollektivstrafe zu erleiden.
Mit der Aufklärung änderte sich vieles. Nun galten nicht mehr die Frauen als leicht verführbar und schwach, sondern vor allem die Männer als liederlich. Und diese standen auch dazu: Der liberale Unterhaus-Abgeordnete John Wilkes (1727–1797) spielte sich als scharfzüngigen Casanova auf. Auf die Frage des konservativen Lord Sandwich, ob er am Galgen oder an Pocken sterben werde, antwortete er: «Es kommt darauf an, ob ich mir zuerst Eurer Lordschafts Prinzipien oder seine Mätressen vornehme.» Der grottenhässliche Mann war eine Art Musterknabe der Aufklärung. Er behauptete von sich, dass er nach zehn Minuten jede Frau rumkriege. Wilkes übertrieb es mit seinen Lustgefühlen allerdings eine Weile: Das Parlament verurteilte ihn auf Treiben der Konservativen wegen der Veröffentlichung obszöner Schriften. Wilkes musste nach Paris fliehen, genoss dort das Leben und büsste seine Rückkehr mit dem Kerker. Doch die Londoner verziehen Wilkes und wählten ihn später zum Bürgermeister.
Sexuelle Revolution
Historiker Faramerz kommt zum Schluss: Die Aufklärung war sexuelle Revolution und die Bewegung in den 1960er- und 1970er-Jahren nur ein Nachbeben davon. Die Kritik an der kirchlichen Moral und die Forderung von Vernunft und Toleranz ermöglichten erst die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmtheit von heute. Für Faramerz ein Erfolg: «Die Aufklärung hat individuelle Spielräume eröffnet.»
So universal gilt das nicht. Die Quellen beschränken sich einerseits auf die angelsächsische Welt und auf das Christentum. Andererseits profitierten von der sexuellen Befreiung im 18. Jahrhundert zunächst nur die liberalen Vordenker der Aufklärung.
«Lust und Freiheit» ist dennoch eine unterhaltende, gut geschriebene Lektüre mit deftig-schönen Auszügen aus Literatur, Briefen und Gerichtsprotokollen.
Faramerz Dabhoiwala
«Lust und Freiheit. Die Geschichte der ersten sexuellen
Revolution»
536 Seiten
(Klett-Cotta 2014).