Der junge Egon Schiele hatte 1910 eine tolle Idee. Eine Dorfschönheit, «die Woitsch Liesl», sollte im niederösterreichischen Krachen Krumau nackt im Garten seines Wohnhauses für ein Porträt posieren. Den Nachbarn erschien das sonderbar. Sie machten Rabatz. Schiele musste aus dem Kaff wegziehen. Damit hatte es zwar sein Bewenden, aber sein Ruf war dahin.
Diese Episode erzählt der österreichische Publizist Gregor Mayer in seiner neuen Biografie «Ich ewiges Kind» von Egon Schiele (1890–1918). Darin schildert der Autor die unentwegte Auseinandersetzung Schieles mit der Sexualität: Er steckte Zeit seines kurzen Lebens in Nöten, ein Mangel an Frauen und Geld plagte ihn – und zwar in dieser Reihenfolge.
Vor Gericht wegen eines Teenagers
Eine 13-Jährige brachte ihn schliesslich hinter Gitter. Tatjana von Mossig, Tochter eines pensionierten Marineoffiziers, riss eines Abends im März 1911 zu Hause aus und ging zu Schieles Unterkunft in Neulengbach. Der ausgebüxte Backfisch übernachtete bei Schiele und dessen Verlobter Wally. Am nächsten Tag fuhren sie zu dritt ins nahe Wien. Statt das Mädchen abzuliefern, besuchten sie einen Kunstsammler. Wally übernachtete mit der Kleinen in einem Hotel. Am folgenden Tag wurde sie dem Vater übergeben. Dieser hatte bereits Anzeige erstattet, schäumte vor Wut und glaubte, genau zu wissen, was mit seiner Tochter geschehen war. Dazu musste man ja nur die Aktgemälde in Egon Schieles Atelier gesehen haben. 24 Tage Untersuchungshaft folgten. Es kam zum Prozess: Schändung und Erregung öffentlichen Ärgernisses lautete die Anklage. Schiele wurde im ersten Punkt freigesprochen, das öffentliche Ärgernis trug ihm jedoch vier Tage Arrest ein.
Egon Schiele wuchs in einer kinderreichen Familie auf. Sein Vater war Bahnhofsvorsteher im niederösterreichischen Tulln. Was heute als kleinbürgerliches Milieu angesehen wird, war es damals nicht. Die Bahn galt Ende des 19. Jahrhundert als Inbegriff der Moderne, Schieles Vater war Herr über einen Eisenbahnknotenpunkt.
Der junge Schiele schaffte die Aufnahme an die Wiener Akademie der Künste. Dank Mäzenen wie dem Kunstkritiker Arthur Roessler konnte er früh ausstellen. Schiele hätte sich nie als verkanntes Genie fühlen müssen, tat es aber doch.
1914 verliebte er sich in die Bürgerstochter Edith Harms, verliess Wally und heiratete sie im Sommer des folgenden Jahres, kurz vor seinem Einzug ins Militär.
Schiele war wie sein Freund Gustav Klimt ein Exponent der künstlerischen Erneuerung, der Wiener Secession. In Wien genoss die unpolitische Strömung das Wohlwollen der Obrigkeit.
Schiele blieb im Krieg zwar verschont, dennoch holten ihn die zeitgeschichtlichen Umstände ein: Seine Frau Edith erkrankte an der Spanischen Grippe. Er pflegte sie bis zum Ende liebevoll, dabei steckte er sich selbst an. Kurz nach ihrem Tod verstarb auch Schiele im Alter von nur 28 Jahren.
Buch
Gregor Mayer
Ich ewiges Kind
203 Seiten
(Residenz Verlag 2018)