Edgar Degas - Maler gegen den Strich
Er war Impressionist und doch keiner. Der französische Künstler Edgar Degas war ein Mann der Widersprüche. Die Fondation Beyeler in Riehen zeigt jetzt sein Alterswerk.
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Kulturtipp 20/2012
Rolf Hürzeler
Dieses Bild strahlt etwas Erotik aus. Es hält einen intimen Augenblick scheinbar willkürlich fest, wirkt nicht gestellt. Die Frau scheint den malenden Voyeur nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist einzig damit beschäftigt, sich sorgfältig abzutrocknen. Edgar Degas hat das Ölbild «Après le bain, femme s’essuyant» (Bild oben) gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts gemalt. Seine Sehkraft war damals bereits geschwächt, und dennoch besticht da...
Dieses Bild strahlt etwas Erotik aus. Es hält einen intimen Augenblick scheinbar willkürlich fest, wirkt nicht gestellt. Die Frau scheint den malenden Voyeur nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist einzig damit beschäftigt, sich sorgfältig abzutrocknen. Edgar Degas hat das Ölbild «Après le bain, femme s’essuyant» (Bild oben) gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts gemalt. Seine Sehkraft war damals bereits geschwächt, und dennoch besticht das Gemälde durch seine Farbkomposition. Das Werk ist in der neuen Ausstellung der Basler Fondation Beyeler zu sehen.
Edgar Degas (1834–1917) malte vor allem Frauen in allen Variationen, als Akte, Tänzerinnen oder im Porträt. Doch er fand keinen Zugang zu ihnen. Degas wandte sich auch den sportlichen Freizeitvergnügen der damaligen Zeit zu, etwa der Reiterei. Aber er blieb ein Einzelgänger, der sich kaum an gesellschaftlichen Anlässen blicken liess. Kurz: Edgar Degas war ein Mann der Widersprüche. Ein schwieriger Charakter, der es schnell einmal mit allen und jedem verderben konnte. Zumal sich durch seine Biografie das hässliche Wort Antisemitismus zieht. Dies kam besonders in der Affäre Dreyfus zum Ausdruck, jener widerrechtlichen Verurteilung eines jüdischen Hauptmanns wegen eines Landesverrats, den er nicht begangen hatte. Degas schloss sich der damaligen niedrigen, antisemitischen Stimmung im Land an.
Edgar Degas kam als Sohn einer wohlhabenden Familie zur Welt, verlor seine Mutter früh. Im Sinn seiner Vaters wandte er sich einem Jus-Studium zu, brach dieses indes bald ab, um sich der Malerei zu widmen. Er konnte es sich leisten, viel zu reisen, etwa nach Italien, wie es damals zum guten Ton wohlhabender Bürgersöhne gehörte. Er besuchte als junger Mann auch New Orleans, um die Verwandten seiner Mutter zu besuchen, die von dort stammte. Später geriet er in eine finanzielle Krise; es stellte sich nach dem Tod des Vaters 1874 heraus, dass dessen Bankhaus bankrott war.
Erstmals in seinem Leben war der Künstler auf sich allein gestellt und musste mit seiner Malerei zu Geld kommen – was ihm trefflich gelang. Degas entwickelte in den folgenden Jahrzehnten eine künstlerische Besessenheit: Er malte unentwegt, entdeckte die Fotografie und wandte sich mit seiner zusehends verminderten Sehkraft der Bildhauerei zu. In späteren Jahren legte er selbst eine umfangreiche Kunstsammlung an, unter anderem mit Werken von Gauguin und Van Gogh, die nach seinem Tod unter den Hammer kamen. Edgar Degas verstarb als reicher, aber einsamer Mann. Verheiratet war er nie, er hatte kaum je eine Beziehung mit einer Frau. Der renommierte US-amerikanische Kunstkritiker Michael Kimmelman schreibt sogar von «Misogynie», von Frauenhass. Umso erstaunlicher, wie sich Degas intensiv mit der Frau auseinandersetzte. Er verherrlichte den weiblichen Körper nicht, sondern vermittelte ihn dem Betrachter als eine Art eigenständiges Kunstwerk.
Arbeit nur im Atelier
In dieses Bild passt seine ambivalente Haltung zu den Impressionisten. Er nahm zwar an deren Pariser Ausstellungen teil, engagierte sich sogar federführend bei der Organisation. Degas warf seinen impressionistischen Copains jedoch zu viel «Spontaneität» vor. Er wertete seine eigenen Werke dagegen als Ergebnis eingehender Reflexion. Er verachtete auch das Bestreben der Impressionisten, im Freien zu malen. Er selbst arbeitete nur im Atelier; Landschaftsbilder wie der aktive Vesuv, malte er aus der Erinnerung zu Hause. Schliesslich zeichnete sich Degas durch reaktionäre politische Ansichten aus, im Gegensatz zu Zeitgenossen wie der ihm lange Zeit nahe stehende Camille Pissarro, der sich als politische Avantgarde verstand.
Degas wandte sich wie viele seiner Zeitgenossen den luxuriösen Freizeitaktivitäten des aufstrebenden Pariser Bürgertums zu, typisches Beispiel sind dafür seine Jockey-Bilder. Der Reitsport gehörte zum Prestige wohlhabender Bürgersleute. Der vom Pferd gestürzte Jockey (Bild oben) lässt sich so als eine süffisante Ironisierung des gesellschaftlichen Comments interpretieren.
Die Fondation Beyeler zeigt nun erstmals seit langem im deutschsprachigen Raum eine grosse Degas-Schau. Sie deckt die späte Periode von 1886 bis 1912 ab, die als seine kreativste gilt. Die Ausstellung dokumentiert, wie Degas gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts in einer «inneren Emigration» lebte, die ein obsessives Spätwerk hervorbrachte.