Einträchtig sitzen die Brüder Volker (50) und Thomas Martins (54) im Zürcher Bahnhofbuffet nebeneinander. Doch der erste Schein trügt: Der Glatzköpfige und der Lockenköpfige sind so quirlig wie auf der Bühne. Während Volker zuerst den Besonnenen gibt, quasselt und witzelt Thomas am Stück, verspeist dazu eine Bratwurst mit Rösti und schäkert mit der Kellnerin. Im Gespräch befeuern sich die beiden gegenseitig.
kulturtipp: Passend zum Herbst dreht sich Ihre Show «Faden und Beigeschmack» um Häkeldecken, Wollschals und Stricknadeln. Plaudern Sie doch mal aus dem Nähkästchen.
Thomas Martins: Wir waren in einem Wollladen und haben gemerkt, wie skurril das ist und dass wir das Thema gerne auf der Bühne ausleben möchten. Es ist nicht nur eine Masche, sondern pure Wollust, mit diesem Material zu arbeiten. Einen Nachteil gibt es: Die Requisiten kratzen extrem.
Volker Martins: Wir kommen aus einer Zeit, in der das Stricken im Gegensatz zu heute nicht im Trend lag: Unsere Mutter, die vermutlich farbenblind war, hat einen Grossteil unserer Komplexe verschuldet, weil wir Selbstgestricktes anhatten. Das verarbeiten wir im neuen Programm. Gerade zum Thema Wolle kommt manches sehr gewollt rüber als Wortspiel. Man kann sich da aber tief drin verstricken.
Und wo äussert sich die Wollust im Programm?
T: Oh, da hab ich jetzt den Faden verloren … Wenn man bei der Wollust den Faden verliert, dann ist der anzustrebende Zustand erreicht.
V: Die Vorstellung, Wolle und Erotik zusammenzubringen, finde ich häkelhaft.
Erotisch sind natürlich auch Ihre Kostüme …
T: Manche Kostüme bestehen aus puren Luftmaschen! Und in jeder Decke sind die unerfüllten Wünsche einer Oma verstrickt. Man spürt diese Aura.
Wie ging das früher ab im Elternhaus mit den zwei chaotischen Brüdern?
V: Ich darf jetzt nichts sagen, weil er neben mir sitzt …
T: Unser Vater war Berufssoldat, und auch unsere Mutter hat bei der Armee gearbeitet. Mit dem Chaos-Theater haben wir unser Ventil gefunden.
V: Zuerst sind wir den sicheren Weg gegangen, ich als Betriebswirt und Thomas als Heizungsmonteur. Unsere Eltern haben uns Selbstbewusstsein mitgegeben, aber auf Selbstverwirklichung waren sie nicht aus. Doch es was schon eine wilde Zeit. Wir haben ja noch einen älteren Bruder.
T: Der ist auch im Showbusiness. Er ist Pastor. Und wir sagen immer: Als Pfarrer muss er dran glauben.
Stammen alle Ideen von Ihnen?
V: Ja. Wir können gar nicht mit Autoren zusammenarbeiten, wir lernen unsere Texte ja nicht auswendig. Wir spielen uns selbst auf der Bühne. Dadurch haben wir die Möglichkeit, zu improvisieren.
T: Das grösste Ziel ist es, den anderen zu überraschen, sodass er fassungslos auf der Bühne steht. Wir machen nichts aus der Retorte und keine Reproduktionen von immer demselben. Das würde uns abstumpfen.
Auf der Bühne streiten Sie sich ständig. Wie im echten Leben? Wer entscheidet, was auf die Bühne kommt?
V: Ich entscheide, und mein Bruder entschuldigt sich.
T: Eigentlich entscheidet das Publikum. Wir nennen es Bühnendarwinismus. Was gut ankommt, wird beibehalten, das andere bekommt eine zweite Chance – und meistens stehe ich am Schluss alleine auf der Bühne.
Thomas ist der Kindskopf und Volker der intellektuelle Wortspieler. Ist das eure Rollenverteilung?
V: Ja, das ist schon so. Wir haben jahrelang gespielt, bevor wir gemerkt haben, dass das andere wie Laurel & Hardy schon lange so tun und wir dieses Rezept nicht erfunden haben.
T: Wir machen uns nicht über andere lustig, sondern nur über uns selber. Von daher sind wir eher Clowns als Comedians. Es ist nicht mehr so verbreitet, dass man sich selbst in die Pfanne haut. Das ist Teil unseres Erfolgs.
V: Wir haben eine brüderliche Konkurrenz.
Gibts keine Ermüdungserscheinungen, wenn man so lange gemeinsam unterwegs ist?
T: Es ist eher umgekehrt. Seitdem wir Kinder haben, ist das Bühnendasein wie bezahlter Urlaub. Du darfst selbst Chaos verbreiten, kriegst Applaus dafür und musst nicht mal aufräumen. Comedy ist wichtig für den Seelenfrieden.
Wo siedeln Sie Ihren Humor an? Irgendwo zwischen Monty Python und Ringelnatz?
T: Wenn Monty Python Kinder bekommen hätten, wären wir das gewesen.
V: Ringelnatz als Wortspieler, das passt. Und wenn man Monty Python wiedererkennt, ehrt uns das. Das ist ja ein Spagat: Bei manchen Nummern muss man nachdenken, bevor man es lustig findet. Anderes ist total albern.
T: Monty Pythons Scherze sind zeitlos, sie kommen auch heute genial rüber. Wenn uns jemand inspiriert hat, dann sie.
V: Auch von Otto wurden wir geprägt. Wir sind im Nachhinein froh, dass wir keine Bühnenkunst studiert haben. Nur durch diese Naivität, den ständigen Versuch und Irrtum, konnten wir unser eigenes Format entwickeln. Anfangs war es Dadaismus ohne jeglichen theoretischen Unterbau.
T: Aber natürlich braucht es immer ein Gerüst, in dem das Chaos stattfindet. Wir können das Programm nicht auf Willkür aufbauen.
Warum der Name Oropax?
V: Die Archäologie weiss mehr über die Herkunft von Ötzi als wir über die Herkunft unseres Namens.
T: Wir wollten ja Marco Lapsus heissen. Vorher hiessen wir Diverto-Riccola. Aber diese Namen waren schon vergeben.
V: Ohropax verschliesst die Ohren, und wir öffnen sie. Wir kriegen mindestens einmal die Woche eine Ladung Ohrstöpsel geschenkt.
T: Hätten wir uns doch lieber Goldbarren Brothers genannt!
Und zum Schluss: Welche Stricktipps geben Sie den Leserinnen und Lesern des kulturtipp mit auf den Weg?
T: Zwei links, zwei rechts und drei fallen lassen. Zwei sind einfach zu wenig.
V: Wenn einem das Muster nicht gefällt, dann ähnlich wie im Strassenverkehr einfach mal linksrum.
T: Wer viel häkelt, sollte Wollvo fahren.
V: Und nicht so sehr mit Klischees um sich werfen. Es gibt ein Sprichwort: Dumm strickt gut, aber das stimmt nicht.
T: So bleiben wir Wolldepp und Wollprofi.
Zwischen Wortwitz und Kalauer
Die Brüder vom Chaos-Theater Oropax kommen aus Freiburg im Breisgau. In den 80er-Jahren standen die beiden mit einem Freund auf den Schulbühnen und trieben ihre Spässe. Seit 1992 betreiben sie zu zweit professionelle Comedy und hatten zahlreiche Bühnen- und Fernseh-Auftritte, etwa bei Giacobbo/Müller. Ihre Shows sind geprägt von viel (Wort-)witz und Tempo, Körpereinsatz und einer Requisitenschlacht. 2008 waren sie mit dem Circus Knie auf Tournee. Mit ihrem 16. Programm «Faden und Beigeschmack» sind sie nun in Deutschland und der Schweiz unterwegs.
Faden und Beigeschmack
Schweizer Premiere: Di, 11.10., 20.00 Casinotheater Winterthur
Tourneedaten: www.oropax.de