Seit ich in Berlin lebe, könnte ich jeden Tag alles haben: Ausstellungen, Konzerte, Filme, Theater. Ich lese zwar regelmässig das «Zitty», unser Ausgehmagazin, aber am Ende gehe ich doch immer dorthin, wo meine Freunde auftreten, Lesungen halten oder Vernissagen geben. Sofern ich dazu komme. Denn seit mein Werkjahr zu Ende gegangen ist, muss ich selber sehen, wie ich mein Leben finanziere. Im Moment schreibe ich Drehbücher für Lernvideos auf sofatutor.com und unterrichte Deutsch.
Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich öfter lesen. In letzter Zeit hat es immerhin für den poetischen, sprachgewaltigen Roman «Natascha, Véronique und Paul» von Friederike Kretzen gereicht. Und «Der Mann mit den zwei Augen» von Matthias Zschokke. Das ist ein wundervolles, verschmitztes Buch. Mit seinen genauen Alltagsbeobachtungen erinnert Zschokke an Wilhelm Genazino, ist aber viel melancholischer. In Roland Barthes’ «Die Vorbereitung des Romans» lese ich seit drei Jahren immer wieder. Das habe ich damals an der Uni entdeckt. In meinem Regal stapelt sich aber auch die neuste Genderliteratur von Judith Butler. Oder einige Schweizer Werke, die mich interessieren: «Nochmal tanzen» von Maja Peter, «Tauben fliegen auf» von Melinda Nadj Abonji oder «Wie der Soldat das Grammophon reparierte» von Saša Stanišic.
Fürs Theater nehme ich mir immer Zeit. Das Stück des Jahres war für mich «Ein Volksfeind» von Ibsen an der Berliner Schaubühne. Im Theater geniesse ich den Moment, schaue einfach zu und lasse meine Gedanken mit dem Geschehen mitgehen. Wenn die Theater Sommerpause machen, besuche ich ab und zu Ausstellungen. Diejenige von Felix Vallotton im Zürcher Kunsthaus würde ich gerne sehen. Ich mag seine Raumkompositionen, seine Zimmer. Sie sind sehr narrativ.
Zeitgenössische Musik nimmt im Moment keinen so grossen Platz ein in meinem Leben. Es können mehrere Wochen vergehen, ohne dass ich einen einzigen Song gehört hätte. Die letzte CD, die ich gekauft habe, ist von The Years in Between, einer Schweizer Band, die an einer meiner Lesungen gespielt hat. Wenn ich in Zürich bin, gehe ich oft ins Konzertlokal «La Catrina». Das ist ein sicherer Wert. Wenn ich diesen Sommer in der Stadt wäre, würde ich einen Tag an den «Winterthurer Musikfestwochen» verbringen.
Das Schöne am Sommer sind die Open- Air-Kinos. In Zürich mag ich es, mir auf dem Platz vor dem Kino Xenix oder am «Filmfluss» an der Limmat Filme anzusehen. Eigentlich liebe ich das Kino. Trotzdem habe ich dieses Jahr nur einen einzigen Film gesehen: «Oh Boy!» von Jan-Ole Gerster. Ich muss dem mal auf den Grund gehen: Wo ist all meine Zeit hin? Was mich noch mehr stört als die Zeitnot, ist, dass alles immer so schnell geht. Wir sehen oder hören uns etwas an, und schon kommt die nächste Veranstaltung. Ich würde mich gern eingehender damit auseinande-rsetzen. Mehr vom gleichen Regisseur sehen, mich in ein Thema einlesen. Dieses riesige Kulturangebot kommt mir vor wie eine weite Wiese: Die Veranstaltungen schimmern auf wie Blumen, aber wir gehen einfach drüber hinweg.»