Doppelbödige Moral
Philippe Djian lässt seine Protagonisten im Roman «Die Rastlosen» durch die Untiefen des Lebens taumeln.
Inhalt
Kulturtipp 03/2013
Letzte Aktualisierung:
13.02.2013
Babina Cathomen
Gequälte Seelen, Getriebene und Traumatisierte bevölkern meist Philippe Djians Romane. Diesem Muster bleibt der französische Bestseller-Autor («Betty Blue») auch im kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman «Die Rastlosen» treu: Der Literaturdozent Marc ist ein alternder Casanova, der sich mit seinen jungen Studentinnen wiederholt auf unverbindliche Affären einlässt. Mit seiner Schwester Marianne verbindet ihn eine traumatische Kin...
Gequälte Seelen, Getriebene und Traumatisierte bevölkern meist Philippe Djians Romane. Diesem Muster bleibt der französische Bestseller-Autor («Betty Blue») auch im kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman «Die Rastlosen» treu: Der Literaturdozent Marc ist ein alternder Casanova, der sich mit seinen jungen Studentinnen wiederholt auf unverbindliche Affären einlässt. Mit seiner Schwester Marianne verbindet ihn eine traumatische Kindheit und ein daraus resultierendes inzestuöses Verhältnis. Die beiden leben in einem abgelegenen Haus, in das sie Aussenstehenden nur ungern Zutritt gewähren – Mariannes Lover und Marcs junge Sexgespielinnen sind lediglich geduldete Gäste.
Das ändert sich, als Marc nach einer halsbrecherischen Autofahrt und einer Liebesnacht neben der toten Studentin Barbara aufwacht. Kurzerhand und ohne grosse Gefühlsregungen «entsorgt» er sie in einer Felsspalte und hält danach ein Seminar über «Moral in der Literatur». Im Laufe der polizeilichen Ermittlungen lernt er Barbaras attraktive Stiefmutter kennen und lieben. Sie ist die Erste, die ihn aus seinem Kokon befreien kann – zumindest fast, denn auch sie umgibt ein dunkles Geheimnis. Das Glück ist Djians Protagonisten definitiv nicht beschieden.
Mit seiner saloppen, harten Ausdrucksweise wird der 63-jährige Philippe Djian bisweilen zu Recht mit dem radikal-realistischen Autor Charles Bukowski verglichen. Die Story ist zwar manchmal gar dick aufgetragen, dennoch reisst der zynische Roman die Lesenden in einen Strudel – im selben Tempo zieht es den rastlosen Helden in eine Abwärtsspirale. Djian versteht es, Aussparungen an den richtigen Stellen zu setzen und genauso viel anzutönen, dass die Spannung erhalten bleibt. Erinnerungsfetzen aus Marcs Kindheit streut er gezielt ein und verbindet sie mit dem aktuellen Geschehen. So entwickelt er das Psychogramm eines zutiefst gestörten Mannes.
[Buch]
Philippe Djian «Die Rastlosen»
Aus dem Französischen von Oliver Ilan Schulz
224 Seiten
(Diogenes 2012).
[/Buch]