Dieter Roth Das Ich in allen Facetten
Die Auseinandersetzung mit dem Selbst war im Werk von Dieter Roth zentral. Das Aargauer Kunsthaus zeigt Selbstbildnisse aus allen Schaffensperioden des Schweizer Künstlers.
Inhalt
Kulturtipp 17/2011
Claudine Gaibrois
Als 18-Jähriger zeichnete er sein erstes Selbstporträt; später fertigte er Schokoladebüsten in Form seines Kopfes an, und in der letzten Phase seines Schaffens fotografierte und filmte er sich: Von seinen ersten künstlerischen Aktivitäten in den 40ern bis zu seinem Tod 1998 stand Selbstbeobachtung bei Dieter Roth im Zentrum.
Mit Selbstverliebtheit hat dies gar nichts zu tun, betont Stephan Kunz, Kurator der Roth-Ausstellung im Aargauer Kunsthaus: «Der ...
Als 18-Jähriger zeichnete er sein erstes Selbstporträt; später fertigte er Schokoladebüsten in Form seines Kopfes an, und in der letzten Phase seines Schaffens fotografierte und filmte er sich: Von seinen ersten künstlerischen Aktivitäten in den 40ern bis zu seinem Tod 1998 stand Selbstbeobachtung bei Dieter Roth im Zentrum.
Mit Selbstverliebtheit hat dies gar nichts zu tun, betont Stephan Kunz, Kurator der Roth-Ausstellung im Aargauer Kunsthaus: «Der Künstler hat sich immer wieder infrage gestellt.» Bei seiner Auseinandersetzung mit dem Selbst setzte er sein Ich gewissermassen als Material ein, das er besonders gut kennt. «Roths Selbstbildnisse sind nüchtern und nicht geschönt – ganz im Gegensatz zu den klassischen inszenierten Selbstporträts in der Malerei.»
Thema Vergänglichkeit
Dazu gehört auch, dass sich Roth intensiv mit dem Thema Vergänglichkeit befasste. Auch andere Künstler verwendeten Ende 60er/Anfang 70er verderbliche Materialien, Daniel Spoerri beispielsweise Essensresten und Joseph Beuys Fett. Doch sie setzten sich nicht in einem so existenziellen Sinn mit dem Thema Vergänglichkeit und Zerfall auseinander wie Roth. In einen seiner berühmten «Schoggiköpfe» beispielsweise mischte er Vogelfutter und stellte ihn draussen auf, sodass sich die Vögel tatsächlich über seinen «Kopf» hermachen konnten. Das «Porträt des Künstlers als Vogelfutterbüste» von 1968 (siehe Bild) ist im Rahmen der Ausstellung im Innenhof des Aargauer Kunsthauses zu sehen.
«Dieter Roth hat unzählige Varianten seines Selbst präsentiert», sagt Kurator Stephan Kunz, «in seinen Büsten beispielsweise zeigte er sich einmal als rätselhaftes Wesen, ein anderes Mal als demütiges oder dominantes.» In späteren Werken malte oder zeichnete Roth sich teilweise auf sehr deftige Weise, beispielsweise betrunken; zum Teil auf lustige oder – etwa im «Selbstbildnis als grüner Salat» – auf karikierende Art. «All diese Facetten machen das Ich aus, das in seiner Hülle, also seinem Körper, steckt.»
Alltag dokumentiert
Damit zeige Roth ein «extrem menschliches» Bild des Ich. Das gilt ganz besonders für seine letzte Schaffensphase. Er schoss unzählige Polaroidfotos von sich, «nicht schön gemachte, sondern sehr
alltägliche», wie Kunz betont. «Auch ein morgendlicher Kater ist darauf nicht zu übersehen.» Für «Solo Szenen» (1997–1998) dokumentierte Roth mit einer Videokamera ungefiltert seinen Alltag, das Sitzen am Schreibtisch ebenso wie das Aufräumen in der Küche oder den Gang unter die Dusche. Die 128 Monitoren umfassende, tagebuchartige Videoinstallation bildet das Finale der Ausstellung, die sinnigerweise den Titel «Selbste» trägt und als erste Roth-Ausstellung überhaupt nur auf die Selbstbildnisse des Künstlers fokussiert, wie Kurator Kunz stolz anmerkt.