Dieter Flury «Der Umzug war ein Kulturschock»
Flötist Dieter Flury ist der <br />
einzige Schweizer im Kollektiv der Wiener Philharmoniker. <br />
Am 1. Januar bläst der Zürcher sein elftes Neujahrskonzert.
Inhalt
Kulturtipp 01/2011
Fritz Trümpi
Mathematik oder Musik? Das war die Frage. Denn zeitgleich zu Mathematik an der ETH studierte Dieter Flury am Zürcher Konservatorium Flöte. «Die Zeichen standen auf Mathe, während Musik eher ein schönes Hobby hätte bleiben sollen», erinnert sich Flury. Doch eine Freundin machte ihn beiläufig auf eine Annonce des Wiener Staatsopernorchesters aufmerksam. Ein Flötist wurde gesucht, und Flury meldete sich kurzerhand zum Vorspielen an. Daraufhin nahmen...
Mathematik oder Musik? Das war die Frage. Denn zeitgleich zu Mathematik an der ETH studierte Dieter Flury am Zürcher Konservatorium Flöte. «Die Zeichen standen auf Mathe, während Musik eher ein schönes Hobby hätte bleiben sollen», erinnert sich Flury. Doch eine Freundin machte ihn beiläufig auf eine Annonce des Wiener Staatsopernorchesters aufmerksam. Ein Flötist wurde gesucht, und Flury meldete sich kurzerhand zum Vorspielen an. Daraufhin nahmen die Dinge ihren Lauf. Flury konnte die Stelle im Opernorchester antreten, übersiedelte 1977 nach Wien und wurde vier Jahre später Erster Flötist bei den Wiener Philharmonikern. Seither ist er der erste und einzige Schweizer im Orchester. Am 1. Januar kann er seinen elften Einsatz beim Neujahrskonzert feiern.
«Der Ortswechsel war schon ein kleiner Kulturschock», erinnert sich Flury, der bei den Philharmonikern inzwischen zum Geschäftsführer im selbst verwalteten Orchester aufgestiegen ist. Und da Flury nicht nur ein begeisterter Musiker, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler ist, untermalt er seine Kulturschockerlebnisse sogleich mit einer seiner Lieblingsgeschichten. In einer Stadtbahn-Station wars, wo er einst eine Tür mit zwei Schildern erblickte. Darauf stand: «Eintritt strengstens verboten!» und «Vorsicht Stufe!» Für Flury drückt sich darin so etwas wie eine wienerische Faustregel aus: «Ein Verbot oder ein ‹Nein› ist hier kein endgültiges Verdikt, sondern ideale Ausgangslage für ein verhandelndes Gespräch.»
Von solchen wienerischen Phänomenen ist der philharmonische Soloflötist bis heute angetan. Genauso freilich von der sprichwörtlichen Musikalität der Stadt – von der musikalischen Vergangenheit wie vom zeitgenössischen Musikschaffen. So engagierte er sich in seinen früheren Wiener-Jahren nicht nur bei den Philharmonikern, sondern auch bei zahlreichen Veranstaltungen, die moderner Musik gewidmet waren. Die berufliche Mehrfachbelastung verhindert heute allerdings solch ausschweifende Engagements. Nebst der Tätigkeit als Soloflötist in Konzert und Oper und seinem ehrenamtlichen Engagement als Geschäftsführer des Orchesters widmet sich der heute 58-jährige Zürcher intensiv der Kammermusik und unterrichtet ausserdem an der Musikuniversität Graz.
Anmerken würde man ihm seinen Stress allerdings nicht. Flury erzählt, kommentiert und scherzt ungezwungen und entspannt, während man sich in seinem Büro im Wiener Musikverein unterhält. Sein arbeitsreiches Philharmoniker-Leben nimmt er sichtlich gelassen. «Die Kinder sind erwachsen, und meine Frau engagiert sich beruflich ebenfalls intensiv», sagt er. «Darum kann ich mir guten Gewissens eine Lebensphase gönnen, die nur der Musik gewidmet ist.»