«DIE UNTERRICHTSSTUNDE» Frage des Verstehens
Regie-Altmeister Werner Düggelin bringt Eugène Ionescos «Unterrichtsstunde» auf die Bühne des Theater Basel.
Inhalt
Kulturtipp 23/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Frank von Niederhäusern
Der Professor empfängt eine Studentin zur Privatlektion. Während die 18-Jährige eine Schnellbleiche «in allen Fakultäten gleichzeitig» erhofft, führt der Lehrer anderes im Schilde. Zu Beginn sehr höflich, zielen seine Unterweisungen zunehmend auf unsinnige und erniedrigende Sprachübungen ab. Die wachsende Strenge des Meisters verunsichert die Schülerin, die schliesslich über Zahnschmerzen klagt. Von diesen «erlöst» sie ...
Der Professor empfängt eine Studentin zur Privatlektion. Während die 18-Jährige eine Schnellbleiche «in allen Fakultäten gleichzeitig» erhofft, führt der Lehrer anderes im Schilde. Zu Beginn sehr höflich, zielen seine Unterweisungen zunehmend auf unsinnige und erniedrigende Sprachübungen ab. Die wachsende Strenge des Meisters verunsichert die Schülerin, die schliesslich über Zahnschmerzen klagt. Von diesen «erlöst» sie der Professor, indem er sie mit einem Messer durchbohrt.
Absurd? Genau, und dies mit Absicht. «Die Unterrichtsstunde» ist eines der frühen Stü-
cke des rumänisch-französischen Dramatikers Eugène Ionesco (1909–1994), der als Meister des absurden Theaters Mitglied der Académie française war. In den 50er- und 60er-Jahren galten seine Stücke als revolutionär, nicht nur wegen ihrer inhaltlichen «Ver-Rücktheit» und formalen Strenge. Die meist in schematischer Einfachheit konzipierten und nüchtern inszenierten Stücke waren auch politisch brisant.
Absurde Welt
Uraufgeführt wurde «La leçon» vor 60 Jahren. Was also beabsichtigt Werner Düggelin mit der Neuinszenierung dieses angegrauten Klassikers, den er zudem neu übersetzt hat, weil es in den bisherigen Übersetzungen «massenhaft Fehler» gegeben habe? Die Antwort zur Stückwahl fällt knapp aus: «Die Welt ist seit den 50er-Jahren nicht weniger absurd geworden.»
Tatsächlich sind die Grundthemen des Stücks – Machtstreben, Ignoranz, Irrationa-lität sowie Unterdrückung von Schwächeren – bis heute virulent. Und die Instrumentalisierung von Sprache hat an Absurdität wohl noch zugenommen.
Stimmig deshalb, wenn Düggelin der «Unterrichtsstunde» als zweites Kurzstück nicht Ionescos «Die kahle Sängerin» zur Seite stellt, wie dies im Pariser Théâtre de la Huchette seit 1957 allabendlich geschieht. Er greift auf die «Sonate» von Ionescos Bruder im Geiste Jean Tardieu (1903–1995) zurück. «In beiden Stücken geht es um Sprache und die Frage des Verstehens», erklärt der 81-jährige Regisseur. «Zudem wird Jean Tardieu im deutschsprachigen Raum viel zu selten gespielt.»
Gespannt darf man sein, wie die beiden Stücke in Basel daherkommen. Doch bezüglich Inszenierung schweigt sich Werner Düggelin – wie gewohnt – aus.