Als Schmied im Bahnhof von Basel auf die Rolltreppe steigt, hört er die Ansage der nächsten Zugverbindungen – und realisiert, dass er die Stimme der Sprecherin kennt. Sie gehört Astrid, der Frau, die er als junger Erwachsener liebte. «Schmied drehte am Ende der Rolltreppe gleich wieder um, fuhr mit der gegenüberliegenden nach unten zu den Geleisen, setzte sich auf eine Bank und wartete auf die nächste Durchsage.»
Schmied setzt sich kurze Zeit später in einen Zug und ist derart in Astrids Ansagen vertieft, dass er vergisst, eine Fahrkarte zu kaufen. Der Mittfünfziger erkundigt sich beim Zugpersonal nach der Ansagerin. Er will wissen, ob sie schon lange die «Stimme der Züge» ist. Und dann schwelgt er in Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit.
Kontrolle und Freiheit
Er war während sieben Jahren viermal mit Astrid zusammen. Zwischen 16 und 23 lösten sich Trennungen und Versöhnungen ab. Leidenschaftliche Liebe verband die beiden, sie vertraten jedoch unterschiedliche Ideologien. Das machte ihre Beziehung kompliziert: Schmied suchte ständig Kontrolle, Astrid wollte ihre Freiheiten. Nach dem endgültigen Liebesaus verloren sie sich aus den Augen – 30 Jahre lang.
Obwohl die Erinnerungen alte Wunden aufreissen, will Schmied seine Verflossene suchen. «Er würde sie gerne wiedersehen, ja er würde sie sogar gerne wieder lieben. Trotz allem, was sie ihm angetan hatte, trotz allem, was er ihr angetan hatte. Er ist sich sicher, sie würden nun (…) anders miteinander umgehen.»
Der Mann, der sich zehn Tage Zeit nimmt, um beim ersten Anruf nach vielen Jahren die richtigen Worte zu finden, ist nicht mehr so dominant wie früher. Er hat sogar Zweifel: Was, wenn Astrid nichts mehr von ihm wissen will? Sie hatten damals eine gemeinsame Reise durch Frankreich unternommen, waren in Städten wie Dieppe, Saint-Malo und Avignon. «Er könnte Astrid fragen, ob sie mitkäme. Die gleiche Reise wie vor dreissig Jahren. Einfach nochmals losziehen mit Bahn und Bus.» Und genau das tut er.
Vier Wochen nach dem ersten gemeinsamen Essen seit langer Zeit sitzen die beiden in einem Pariser Strassencafé. Und ab jetzt stellen sie sich immer wieder die entscheidende Frage: Wollen sie es nochmals miteinander versuchen?
Warmherzige Story
Patrick Tschan hat mit «Eine Reise später» eine Geschichte zu Papier gebracht, die jedem passieren könnte, wenn auch die Bahnhofstimmen heute fast durchwegs aus dem Computer kommen. Die Geschichte ist warmherzig verfasst, kennt aber keine Tabus, wie etwa Sex unter Mittfünfzigern.
Der Autor Patrick Tschan wurde 1962 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Nebst seiner Tätigkeit als Theaterregisseur war er lange in der Kommunikations- und Werbebranche tätig. Zudem ist Tschan Präsident der Schweizer Schriftsteller-Fussball-Nationalmannschaft. «Eine Reise später» ist sein dritter Roman. Zuvor sind bereits «Keller fehlt ein Wort» und «Polarrot» erschienen.
Patrick Tschan
«Eine Reise später»
198 Seiten
(Braumüller 2015).