Eine erstaunliche Premiere. Erstmals überhaupt sind die vier «Méta-Harmonien» von Jean Tinguely an einem Ort zu sehen. Der Objektkünstler hatte die raumgreifend grossen Musikmaschinen in den Jahren 1978 bis 1985 geschaffen – für verschiedene Zwecke und Kunden. Aber alle vier bescheren den Betrachtenden einen kindlichen Spass. Sie knattern und zischen, knallen und säuseln, sie drehen, wenden und winden sich, und bleiben doch am Ort.
Jean Tinguely (1925–1991) hatte für diese tönenden Riesenplastiken zahlreiche Musikinstrumente mit Industrieschrott kombiniert. Da fahren Gummiräder über Klaviertastaturen, von Geisterhand geführte Stangen dreschen auf Pauken und Trommeln ein, kleine Schlegel schlagen Glocken an, und alles ist angetrieben von gigantischen, über Transmissionsriemen miteinander verbundenen Rädern.
Eine gezielte Hommage an die Musik
Nun war der schalkhafte Kunstmechaniker aus Fribourg bekannt für solcherart Kreationen, die sich nicht nur bewegen, sondern auch Geräusche von sich geben. An der Expo 1964 in Lausanne amüsierte er das Publikum mit rasselnd-tanzenden Kleinobjekten. Seine bekannten Brunnen-Installationen in Paris oder Basel spritzen nicht nur, sie zischen und gurgeln auch. Und «Heureka», ebenfalls für die Expo 1964 geschaffen und heute am Zürcher Seeufer thronend, ist eine Sinfonie für Metallklänge.
Eine gezielte Hommage an die Musik schuf Jean Tinguely indes mit seinen vier «Méta-Harmonie» genannten Grossinstallationen. «Méta-Harmonie I» entstand 1978 für die «Hammerausstellung» in Basel, wo sie gleich einen Käufer fand und später nach Wien kam. Deshalb musste Tinguely für das Frankfurter Städel-Museum, das ihn im Jahr darauf mit einer grossen Ausstellung ehren wollte, die «Méta-Harmonie II» bauen. Die beiden Installationen ähneln sich: Es sind Tryptichen (Dreiteiler), dicht bestückt mit Instrumenten. Im Detail freilich ist der Frankfurter «Nachfolger» noch dichter gebaut.
«Ich lass’ die Töne gehen, geb’ ihnen Freiheit»
Ganz anders dann die dritte Musikmaschine, die 1984 als «Pandämonium No. 1 – Méta-Harmonie III» für ein Warenhaus in Tokio entstand. Weitaus grösser und in einem Stück, erzeugt diese Maschine ihre Töne mehr aus sich selbst, indem Ölfässer, Bleche, aber auch Tierschädel zum Klingen gebracht werden. Fast ausschliesslich aus Industrieschrott gebaut ist die vierte und grösste «Méta-Harmonie» mit dem Haupttitel «Fatamorgana». Sie entstand 1985 in einer Oltener Fabrikhalle.
Das Basler Tinguely Museum beherbergt die Méta-Harmonien II und IV als Dauerleihgaben. Für seine neue Ausstellung konnte es auch die beiden anderen Teile dieses wesensverwandten Klang-Quartetts beschaffen und zeigt sie erstmals überhaupt als Ensemble. Mediensprecherin Francesca Gasser: «Die vier Maschinen beeinflussen sich zwar nicht direkt. Dennoch ist es interessant, sie im Zusammenspiel zu erleben.» Jean Tinguely selbst sprach von «Ton-Mischmaschinen» und erklärte: «Meine Apparate machen keine Musik, meine Apparate benützen Töne (…) Ich lass’ die Töne gehen, ich geb’ ihnen Freiheit.»
Diese Freiheit nimmt das Tinguely Museum auf und reicht sie weiter. «Während der Ausstellung bilden die Méta-Harmonien die Bühne für Auftritte von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die mit der akustischen Dimension experimentieren», stellt Francesca Gasser in Aussicht. «Damit soll dem Publikum ein sinnenübergreifendes Erlebnis ermöglicht werden – ganz im Sinne des Hauskünstlers.»
Das Veranstaltungsprogramm ist nicht nur interdisziplinär, es erweitert die Schau um viele Facetten und wird damit zu deren wichtigem Bestandteil. Nur schon während der ersten zwei Ausstellungsmonate stehen gegen 40 Konzerte, Performances, Referate und künstlerische Interventionen an.
Musikmaschinen/ Maschinenmusik
Mi, 19.10.–So, 22.1. Museum Tinguely Basel
Rahmenprogramm: Klamauk und Gäste
Das verspielte Thema der Ausstellung «Musikmaschinen/Maschinenmusik» findet seine Fortsetzung in einem sehr breit gefassten Rahmenprogramm. Nebst Führungen und Workshops für Kinder und Familien gibt es Performances, die Gross und Klein begeistern werden. Eine kleine Auswahl:
Jean Tinguelys Klangmobil «Klamauk» (1979) ist am So, 23.10., So, 4.12., Di, 6.12., So, 8.1., und So, 22.1., im Basler Solitudepark unterwegs.
Komponierte Maschinenmusik zu hören gibt es von Bohuslav Martinu (Sa, 12.11.) und György Ligeti (So, 20.11. & So, 4.12.). Zudem gastieren das Ensemble «ö!» (So, 30.10.), die Jazzmusiker Barry Altschul aus New York (So, 27.11.) und Julian Sartorius aus Bern (So, 8.1.) sowie das Ensemble Phoenix Basel (So/Mo, 15.1./16.1.) im Museum.
Die Ausstellung wird zudem ergänzt um Gastauftritte und schauen des Berner Künstlers Zimoun (Mi, 19.10.–So, 30.10.), des Museums für Musikautomaten Seewen (Di, 29.11.–So, 11.12.), des Zürcher Bühnenkünstlers Thom Lutz (Mo, 12.12.–So, 18.12.) und des New Yorker Performance-Trios Hildenbrand, Coolidge, Severo (Di, 20.12.–
Fr, 6.1.).
Informationen zu allen Programmpunkten finden sich unter www.tinguely.ch/de/ausstellungen_events/events.html