Als ob die Rede von den heutigen Medien handelte: «Den Zeitungen, die anfangen, sich mit Leere zu füllen, fehlt der Hintergrundartikel. Kein Blatt ist reich genug, um gewissenhaftes Talent und ernsthafte Recherchen zu honorieren.» Das hat der französische Schriftsteller Honoré de Balzac im Jahr 1843 beobachtet, als sich der bürgerliche Staat unter dem König Louis-Philippe etablierte. Er war selbst Journalist und gab zeitweilig sogar eine Zeitung heraus, die allerdings schnell bankrottging.
Von Spöttern und Zeilenanglern
Der empfindliche Balzac, der selbst zeitlebens keinen Streit ausliess, fühlte sich als Opfer der Presse und schrieb sich das wunde Herz gesund in einem kleinen Band unter dem Titel «Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken». Der Text ist nun erstmals deutsch erschienen und so aktuell wie damals.
Im Sinne des skandinavischen Naturforschers Carl von Linné unterteilte Balzac (1799–1850) die journalistischen Charaktertypen in Klassen, Ordnung und Gattung – «Der Kritiker: von altem Schrot und Korn» bis hin zu «den kleinen Journalisten». Diese «Kleinen» sind das Gegenstück zum Chefredaktor: «Fast alle Anfänger, mehr oder minder Dichter, wieseln durch diese Blätter und träumen von leitenden Positionen.» Diese Gattung wiederum entwickelt sich weiter zum «Mann fürs Grobe», zum «Spötter» oder «Zeilenangler».
Am meisten stachen Balzac, einem kämpferischen Anhänger der Monarchie, jedoch die «Publizisten» in die Nase, unter denen er politische Journalisten verstand: «Der Mann kommt auf keine zwei Gedanken: Als gehobener Kader wäre er nicht fähig, die Strassenreinigung zu verwalten.» Balzac musste eine ziemliche Wut in seinem wohl gerundeten Bauch gespürt haben, als er sich solchermassen austobte. So trug er heftige Gefechte gegen Widersacher aus wie etwa den Literaturkritiker Charles-Auguste Sainte-Beuve, der Balzacs Romane für «Fliessbandliteratur» hielt und festhielt: «Wir möchten nicht anfügen, dass er bereits Zeit gehabt hat, zu sterben, trotz der weiteren 50 Romane, die er sich noch zu veröffentlichen anschickt.»
Die im Manesse-Verlag herausgekommene Abrechnung Balzacs mit den Schreiberlingen stellte der Herausgeber und Übersetzer Rudolf von Bitter sinnvollerweise in die politischen wie ökonomischen Zusammenhänge seiner Zeit.
Balzacs Jagd auf Zeitungsenten
So erlebte Balzac das damalige Wachstum des Zeitungsmarkts: «Mit dem neuen Jahrhundert kam die von Friedrich Koenig entwickelte Schnellpresse auf», konstatiert Rudolf von Bitter, und die Pressefreiheit erfuhr nach der Restauration Lockerungen. Die neuen Freiheiten luden geradezu auf den journalistischen Boulevard ein. Mit den heute noch bekannten publizistischen Eigenheiten, die schon Balzac amüsierten: «Den Quark, der sich täglich am Kopf einer Zeitung befindet, bezeichnet man als Aufmacher.»
Balzac blies zur Jagd auf die schon damals verbreitete Zeitungsente. Als ein schönes Beispiel führte er die Schweizer Fahrende Clara Wendel an, die 20 Morde, 14 Brandstiftungen und über 1500 Diebstähle begangen haben soll: «Da hat sich die reinrassige Ente in atemberaubende Höhen aufgeschwungen», schreibt er über die Zeitungen, die den Lesern in den 1820er-Jahren Wendels angebliche Schandtaten kommentarlos auftischten.
Buch
Honoré de Balzac
«Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken»
Hg.: Rudolf von Bitter Französische Erstausgabe: 1843
(Manesse 2016).