Die Augen blicken konzentriert auf einen Punkt, die Finger flitzen über die Klappen der Querflöte, als seien sie zu nichts anderem da. Deborah soll sich warmspielen und ihrem Lehrer «Töne rüberschicken». Aber nicht einfach so. «Schick sie durch den Wald, damit sie gereinigt werden», fordert sie der Lehrer auf und vergrössert demonstrativ den Abstand zwischen sich und der Schülerin. Die 11-Jährige nickt und nimmt einen neuen Anlauf. Aber etwas stimmt nicht, Deborah runzelt die Stirn. Dann bemerkt der Lehrer, dass die Flöte nicht richtig zusammengesteckt ist und korrigiert den Fehler. Jetzt klingt die Tonleiter so virtuos, wie es die frischgebackene Kategorie-Siegerin des Schweizerischen Solisten- und Ensembles-Wettbewerbs und ihr Lehrer gewohnt sind. «Con fuego», mit Feuer, soll sie spielen – und sie spielt.
So anspruchsvoll, aber auch menschlich verläuft eine Unterrichtsstunde an der Musikschule Konservatorium Zürich (MKZ). Hier finden Schüler mit besonderer musikalischer Begabung die Motivation und allenfalls sogar die Förderung für eine professionelle Karriere.
Die Querflöte begleitet Deborah Schmid seit dem Kindergarten. Auch ihre Mutter spielt Querflöte, ihr Vater und ihr Bruder sind Schlagzeuger. Als die Lehrpersonen an der Musikschule in Uster ZH merkten, dass Deborah besonders talentiert ist, empfahl man ihr das Förderprogramm MKZ. Die Aufnahmeprüfung schaffte sie locker.
Seither übt Deborah eine Stunde täglich, einmal die Woche spielt sie Kammermusik. Daneben geht die Fünftklässlerin dreimal wöchentlich zum Kunstturnen und einmal in die Jugendgruppe Cevi. Ob ihr bei dem Programm das tägliche Üben immer leichtfalle? Das Mädchen lächelt verlegen und gibt zu, dass sie zwar nicht immer Lust hat. Dann mache sie es trotzdem – «und fertig».
Devrim am Piano
Auch der 9-jährige Devrim Özbek kann bereits auf Erfolge zurückblicken. Kürzlich hat er gemeinsam mit seinem Bruder, einem Geiger, den 1. Preis in der Kategorie Duo Kammermusik beim Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb gewonnen. Demnächst gehts mit Stücken des deutsch-dänischen Komponisten Friedrich Kuhlau und Dmitri Schostakowitsch an den Zürcher Musikwettbewerb. Der Pianist ist einer der Jüngsten im Förderprogramm. Es sei anfangs die schiere Grösse des Instruments gewesen, die den damals 4-Jährigen beeindruckte, erzählt der Vater. Dann wurde mehr daraus.
Devrim übt inzwischen mindestens 30 Minuten täglich. Wenn es am Wochenende in der Wohnung zu laut wird, spielt er gemeinsam mit seinem Bruder in einem Altersheim. Einmal pro Woche geht Devrim zum Basketball. Kann sich ein Neunjähriger selber zum Üben motivieren? Laut dem Vater geht es nicht immer ohne «Tricks». Manchmal brauche es eine Belohnung, wie etwas Zeit für das Computerspielen. Was seine Kollegen dazu sagen, dass er Klavier spielt? Sie fänden das «schon gut», so Devrim. Allerdings gäbe es darunter keinen, der auch Klavier spielt. So hofft Devrim, demnächst Gleichgesinnte im Klavierensemble zu treffen.
Das gemeinsame Musizieren in einem Orchester, einer Kammermusikgruppe oder Band ist – neben dem Besuch musiktheoretischer Kurse – obligatorisch. «Es ist motivierend, wenn sich Musikschüler – besonders Begabte – nicht als Einzelkämpfer erleben, sondern Teil eines Ganzen sind», sagt Querflötenlehrer Felix A. Dorigo, auf dessen Initiative hin das Förderprogramm vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde.
Für alle Schüler gelten zwar die gleichen fachlichen und pädagogischen Unterrichtsziele. Bei Begabten oder Hochbegabten müssten darüber hinaus aber die Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung berücksichtigt werden. «Nur wenn nirgends Sand im Getriebe ist, entflammt das ‹feu sacré› bei jungen Menschen», sagt Lehrer Dorigo.
Pflicht und Kür
Ein wichtiger Motivationsfaktor seien Erfolge. Deshalb müssen sich die Teilnehmer des Förderprogramms regelmässigen Herausforderungen wie Konzerten und Wettbewerben stellen. Auch das jährliche obligatorische Vorspielen gehört dazu. Wenn Fortschritte und Engagement nachlassen, gibts keine Verlängerung. Schliesslich sind die Plätze rar. Deborah und Devrim gehören zu gegenwärtig rund 70 Kindern, welche die MKZ fördert. Ein erlesener Kreis, sind doch rund 22 000 Schüler und Schülerinnen an der Musikschule eingeschrieben. Nur diese Einrichtung, eine der grössten Musikschulen Europas, kann sich eine so umfassende Begabtenförderung leisten. Schliesslich erhält jeder geförderte Vokal- oder Instrumentalschüler zu seinem gebuchten Unterricht je nach Altersstufe bis zu 30 Minuten kostenlose Förderung pro Woche.
Wenn das Talent reicht und die Motivation langfristig andauert, kann aus dem Hobby irgendwann sogar ein Beruf werden. «20 bis 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus dem Förderprogramm entscheiden sich später für ein Musikstudium», erläutert Seung-Yeun Huh, Prorektorin MKZ und Leiterin des Förderprogramms. Sie würden zuvor ein Musikgymnasium oder eine Kantonsschule mit musischem Profil besuchen und sich gleichzeitig im Pre-College MKZ auf die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule vorbereiten, so Huh. Nach dem Studium sind die weiteren Berufswege vielfältig. So sei zum Beispiel eine Schülerin Dorigos heute Dozentin an der Musikhochschule in Luzern, eine weitere spiele als 1. Soloflötistin im Orchestre de la Suisse Romande in Genf.
Zukunftspläne
Deborah und Devrim wissen noch nicht, was sie einmal werden möchten. Bisher haben sie vor allem Spass an der Musik und wollen in etwas richtig gut sein. Sie bereiten sich auf den nächsten Wettbewerb vor und geben ihr Bestes. Sollte es trotz Talent, Motivation und ganzheitlichem Coaching doch einmal zu viel werden, hilft manchmal eben nur Selbstüberwindung – «und fertig!».
Infoveranstaltung MKZ-Förderprogramm
Sa, 9.1., 14.00–16.00 Saal Hainerweg 6 Zürich
Junge Talente stellen sich vor
So, 17.1., 14.00 Konzert Lavatersaal, Schulhausstrasse 1 Zürich
Korrepetition: Sandra Meier, N.N.