Frau? Hinter dem männlichen Namen Lutz Bacher verbirgt sich tatsächlich eine Frau. Bilder von ihr bekommt man selten zu Gesicht – sind schwer aufzutreiben. Denn das Versteckspiel gehört zu ihrer Kunst. Diese soll dem Betrachter möglichst rätselhaft erscheinen, genauso wie die Künstlerin selbst. Und deshalb weiss man wenig von ihr: Die Einzelgängerin lebt in Kalifornien, ist seit den 70er-Jahren im Geschäft und findet zunehmend internationale Beachtung. Die Zürcher Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit einem Frankfurter und einem Londoner Museum entstanden, die dieses Jahr ebenfalls Werke von Bacher zeigten. Zu sehen sind in Zürich Puppen im Stil von Pinups und anderes, verfremdete Fotos verängstigter Kinder oder ein Flugzeugwrack, das an den Vietnamkrieg erinnern soll – also Heiteres für jeden Geschmack.
Einzelne Objekte sind zeitgeistig und werden entsprechend interpretiert: Etwa die Installation «Yes», die heute jedermann an die Politchiffre «Yes, we can» von Barack Obama denken lässt. Doch Bacher hat sie im Jahr 2007 geschaffen, als wahrscheinlich nicht einmal Obama selbst an den Spruch dachte.
Interview mit Mörder
Neueren Datums (2013) ist der rote Vinyl-Plastikkreis mit Falten. Das Werk heisst «Cannibal Love Song» und weiss der Himmel, warum. Klarer ist der Fall mit dem Affen – er heisst «Aff» («Ape»). Das Teil ist aus Kunstpelz gefertigt und damit ein politisch korrektes Objekt. Ausnahmsweise alles klar.
Die Künstlerin schaffte den Durchbruch vor 40 Jahren mit einer Arbeit über den Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald. Warum gerade der? Sie stellte sich die Frage in einem Interview gleich selbst. Und bekam von sich die wenig überraschende Antwort zu hören, dass Attentate halt faszinierend seien. Die Selbstbefragung sorgte dennoch für Aufmerksamkeit, weil sich Künstler in der Regel lieber interviewen lassen, statt öffentlich mit sich zu reden. Bacher hat also Talent zur Selbstmystifikation, was wiederum ihrem Geschäft zuträglich ist. «Who the hell is Lutz Bacher?», fragte das Fachblatt «Texte zur Kunst» nach einer Ausstellung in München, und meinte damit nicht nur die Identität der Künstlerin. Wichtiger ist vielmehr die Frage nach ihrer künstlerischen Bedeutung, worauf die Zürcher Ausstellung eine Antwort geben mag.
Bei aller Ungewissheit um Bachers Person: Sie lässt sich zumindest politisch vordergründig im gesellschaftskritischen Umfeld ansiedeln. So zitierte sie etwa auf einer Fotocollage den ehemaligen US-amerikanischen Aussenminister Henry Kissinger mit den wegweisenden Worten: «Illegales erledigen wir sofort, ein Verfassungsbruch dauert etwas länger.» Ein Kritiker merkte dazu süffisant an, man wisse bei Lutz Bacher nie genau, was denn stimme und was nicht.
Kleine Geheimnisse
Doch Manifestes ist selten bei ihr. Ihre Kunstwerke sind kleine Geheimnisse, die sich sehr unterschiedlich interpretieren lassen: «Ihr Werk ist immer zweideutig, sie will niemals vorschreiben, was der Betrachter zu sehen hat», heisst es im Begleittext zu ihrer aktuellen Ausstellung im Londoner Institute of Contemporary Art. Typisch für Bacher ist ein überdimensioniertes Schachbrett, das in Zürich nicht zu sehen ist: Statt König, Dame, Läufer etc. stehen eine Elvis-Presley-Figur, ein Tyrannosaurus Rex oder ein Kamel auf dem Brett. Kein Mensch weiss, was diese drei Dinge miteinander verbindet. Vielleicht nicht einmal Bacher selbst. Aber die Idee ist gut, sie regt zu Spekulationen an. Ist Elvis entwicklungsgeschichtlich der Vorläufer des Sauriers und des Kamels? Oder war alles ganz anders? Nämlich: Am Anfang war der Saurier. Oder das Kamel.
Bacher sagt es niemandem, und das gehört zu ihrer Kunst. Zum Beispiel legte sie an der Vernissage einer andern Schau in San Francisco anstelle einer Einführung das Rezept für «Butterscotch Pudding» auf. Interessant zwar, aber für den Besucher einer Ausstellung wenig hilfreich, ebenso wie für die Kunstkritik. Und wenn Kritiker ratlos sind, zitieren sie am liebsten Shakespeare, um ein Phänomen zu erklären, wie das zum Beispiel das «Frieze»-Magazin getan hat. Das Fachmagazin vergleicht Bachers Versteckspiel mit der Traumwelt in der Komödie «Sommernachtstraum», wo die Handlung laufend zwischen, Realität und Fiktion spielt. Der Shakespeare-Vergleich mag für Lutz Bachers Kunst treffend sein, auch wenn nicht ganz sicher ist, ob ihr in 400 Jahren die gleiche Bedeutung zukommen wird wie dem Dramatiker heute.
Immerhin lassen sich bei Bacher Themen erkennen, die wiederkehren: Gewalt, Missbrauch, Kitsch und pervertierte Sexualität inspirieren diese Gestalterin künstlerisch, obwohl sie in ihren Werken solche Missstände selten plakativ beklagt. Sie vermittelt lieber verstörende Perspektiven auf die unangenehmen Seiten des Lebens. Und praktischerweise sorgen genau Provokationen dieser Art für die nötige Publizität. Frei nach der Devise: Je rätselhafter, desto spannender.
Lutz Bacher
Sa, 23.11.–So, 2.2.
Kunsthalle Zürich