Sie sind jetzt gerade das erste Mal durch mit dem Stück. Alles wirkt in hohem Mass provisorisch, auch die Probebühne des Theaters St. Gallen. Arthur Millers 1953 uraufgeführtes Stück «Hexenjagd» entfaltet sich in einer ersten Phase hier – der richtige Auftrittsort ist zurzeit besetzt. Bis zur Premiere Ende März dauert es zwar noch, aber man spürt schon die Intensität der Theaterarbeit.
Das liegt an den Schauspielern, die an dieser Probe die letzte Szene in zwei mögliche Formen bringen. Das liegt auch am Regisseur Krzystof Minkowski, der immer wieder unterbricht, laut nachdenkt, dann mal dies, mal jenes ausprobieren lässt. Alles, was Oliver Losehand, Marcus Schäfer, Tim Kalhammer-Loew, Silvia Rhode, Tobias Fend und Christian Hettkamp tun, soll Bedeutung haben – und sich doch in ein Ganzes einfügen. Minkowski diskutiert viel, auch die Textfassung wird oft zum Gegenstand von Diskussionen.
Eine Metapher
Arthur Millers Stück spielt 1692 in Salem in Massachusetts und beruht auf einer wahren Begebenheit: Tief religiöse Puritaner geraten in einen wahren Rausch des Denunzierens, nachdem mehrere Mädchen bei nächtlichen Tänzen erwischt wurden, und zwei von ihnen mit rätselhaften Symptomen im Bett liegen. Die 17-jährige Abigail (Danielle Green) ist eines davon. Es wird mit seinem dunklen Geheimnis zum schwarzen Zentrum des Stücks. Reverend Parris (Tobias Fend) nämlich tritt eine Lawine an Verdächtigungen los. Der von vielen Seiten angefeindete Pfarrer lässt Reverend John Hale (Oliver Losehand) kommen, einen Experten in Sachen Teufelsaustreibung. Diesem werden nun Merkwürdigkeiten en masse zugetragen. Verhaftungen häufen sich. Wer gesteht, dem Teufel abschwört und andere Verdächtige nennt, der bleibt verschont. Die anderen enden am Galgen.
Eine Metapher war diese Hexenjagd anno 1692. Eine Metapher ist sie dank diesem Stück geblieben. «Allerdings», sagt Regisseur Krzystof Minkowski nach der Probe, «ist das Stück oft eins zu eins inszeniert worden, sodass sich die Zuschauer nachher gefragt haben: Was geht mich das an?» Deshalb will er die Geschichte auf die Schweiz beziehen. «Wir sind ja hier, also soll es auch etwas mit der Schweiz zu tun haben.» Überall in Europa sei der Gedanke virulent: Wir müssen uns gegen das Fremde schützen. In der Schweiz findet er Ausdruck auch in Volksinitiativen wie der Minarettinitiative, in einem Zurück zu rechtskonservativen Werten. «Das Stück selber stellt die Religion in den Vordergrund, wir schwächen das eher ab. Bei uns geht es um diese Ideologie, dass man die Schweiz sauber halten will.»
Schweizer Seelen
Die Idee des Bühnenbilds sei deshalb, einen Bunker zu bauen. Und: Ein besessenes Mädchen wird als eine Art Ventil fungieren, das zum Ausdruck bringt, was in den Schweizer Köpfen und Seelen von heute vorgeht – auch an Dunklem. Minkowski will die hiesigen Debatten aufgreifen, auch wenn «Hexenjagd» im Kern eine zeitlose Parabel bleibt. Er tut es nicht wertend mit der Moralkeule, sondern beschreibend. «Wir spielen darum auch viel über die Zuschauer, beziehen sie ein, lassen sie mitentscheiden.»
Wie aber gestaltet Minkowski vor diesem Hintergrund die Szenen von Arthur Millers Stück? Die letzte zum Beispiel, nach welcher der Vorhang fällt und alle Fragen offenbleiben? Die Schauspieler spielen sie ein erstes Mal als konventionelle Theaterszene, agieren mit- und gegeneinander. Das wirkt abwechslungsreich, intensiv, heftig. Der vermeintliche Häretiker Proctor muss sich entscheiden, er steht unter Druck: Die Richter wollen, dass seine Frau ihn überredet, seine angebliche Schuld einzugestehen und damit frei zu kommen. Denn sie spüren, wie das Ansehen dieses mörderischen Gerichts von Todesurteil zu Todesurteil schwindet.
Dann spielen sie die gleiche Szene ein zweites Mal: dem Publikum zugewandt, die Gesten mehr symbolisch als real. Und diese zweite Szene stellt die eine Frage in den Raum. Wie würdest du handeln, liebe Zuschauerin, lieber Zuschauer?
Die Jagd auf Linke in den USA
Eine wahrhaft beklemmende Szenerie entfaltet das Stück «Hexenjagd» des US-Autors Arthur Miller (1915–2005), das 1692 spielt. Bedrückend hat der Dramatiker auch sein eigenes Zeitalter empfunden. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es in den USA zu einer Jagd auf alles, was politisch links steht. Nicht nach den Verbündeten des Teufels wird gesucht, sondern nach Kommunisten und deren Sympathisanten.
«Für mich war vielleicht die Atmosphäre, die entstand, beunruhigender als alles andere», schreibt Miller in seiner Autobiografie. «Ich suchte eine Metapher, ein Bild, das aus dem Herzen kommt. Denn wenn der augenblickliche Niedergang des öffentlichen Diskurses weiterging, konnten wir nicht länger eine Demokratie sein, ein System, das ein gewisses grundsätzliches Vertrauen braucht, um bestehen zu können.»
Hexenjagd
Premiere: Sa, 28.3., 19.30 Theater St.Gallen