Von der Kitschautorin Rosamunde Pilcher über die Reichsfilm-Regisseurin Leni Riefenstahl bis zur kämpferischen Intellektuellen Susan Sontag: Im Gesprächsband des deutschen Publizisten Jörn Jacob Rohwer sind unterschiedliche Persönlichkeiten einträchtig versammelt. Zwischen 1995 und 2010 hat er mit ihnen lange Gespräche geführt, die in renommierten Zeitungen oder Magazinen erschienen und nun erstmals in einem Band versammelt sind.
Widersprüchliches
«Mrs. Pilcher, Sie haben immer einen Whisky neben sich, wenn Sie schreiben, nicht wahr?» Mit solchen provokativen Einstiegsfragen lockt er die Prominenz aus der Reserve, abseits der vorgestanzten und oft formulierten Antworten. «Na, hören Sie, so können Sie das aber nicht formulieren – das klingt ja, als hinge ich von früh bis spät an der Flasche!», entgegnet die britische Lady empört. Im Laufe des Gesprächs wird die ansonsten unpolitische Autorin einige Statements zu Politik und Gesellschaft abgeben. Sogar das Thema Sexualität, das in Pilchers Liebesromanen geflissentlich ausgeklammert wird, kommt zur Sprache. Sie sei froh darüber, dass es bei ihren eigenen Kindern keine «grösseren Verirrungen» gegeben habe. «Ich meine, Lesbierinnen und dergleichen …» So rückständig sie sich in manchen Antworten zeigt, so stark und unabhängig gibt sie sich in andern.
Einen noch viel widersprüchlicheren Eindruck macht die 95-jährige Leni Riefenstahl im Gespräch – schwankend zwischen dem Bewusstsein ihrer Rolle im Dritten Reich und der festen Überzeugung, dass sie ein Opfer war. «Ich hatte es satt, dass mir keiner glaubte – viele glauben mir bis heute nicht. Und das ist die grosse Tragik meines Lebens, darunter leide ich unsäglich», sagt sie etwa. An anderer Stelle hingegen betont sie, sie habe ihr Schicksal als gerechtfertigt angesehen, da sie an Hitler geglaubt habe. Auch auf den Interviewer hinterlässt sie einen zutiefst gespaltenen Eindruck: «Ob sie die Wahrheit oder nur ein Schauspiel vorgetragen hatte – wer wollte ernstlich darüber befinden?», fragt er sich im Vorwort.
Empathie und Kritik
Rohwer begegnet seinen Interviewpartnern stets mit Empathie, aber mit der nötigen kritischen Einstellung. Mit einer minutiösen Vorbereitung und mit seinen klugen Fragen, die im psychoanalytischen Sinn bis in die Kindheit zurückreichen, gelingt es ihm meist, mit seinen Gesprächspartnern auch über ihre unbekannten Seiten zu sprechen. So redet er etwa mit dem britischen Autor Ian McEwan über seine Vergangenheit als Müllmann oder seine Drogen-Eskapaden. Die Frage: «Hat man Ihnen als Kind beigebracht, Gut und Böse zu unterscheiden?», beantwortet McEwan mit «überhaupt nicht», und ergänzt sie mit einem erhellenden Einblick in sein frühes Werk.
Zug um Zug
Manchmal würde man sich ein Nachhaken seitens des Journalisten wünschen. Und nicht alle Gesprächspartner sind gleich gewillt, ihm freimütig Auskunft zu geben. «Was es sonst über mein Leben zu sagen gibt, steckt in meinen Theaterstücken», lässt ihn etwa der US-amerikanische Autor Arthur Miller wissen. Und die Begegnung mit dem Oscar-Preisträger Maximilian Schell hat Rohwer enttäuscht, weil er «statt souverän, jovial und weise das Gegenteil war», wie der Journalist in der SRF-Sendung «Aeschbacher» bekannte.
Meist aber findet er den Zugang zu den Prominenten, zieht wie in einem Schachspiel seine Züge, die den andern zu einer Reaktion herausfordern. Zudem öffnen sich den Lesern in den Gesprächen mit den meist älteren Persönlichkeiten die unterschiedlichsten Blickwinkel auf historische Ereignisse. Einen Fokus legt Rohwer, der selbst als Kind kriegsversehrter Eltern aufgewachsen ist, auf das Dritte Reich. Bei diesem Thema fragt er besonders hartnäckig nach, will den ethischen, philosophischen und moralischen Positionen seiner Gesprächspartner nachspüren.
Zu Recht nennt der 49-jährige Rohwer seinen Band «Seismografie des Fragens», vermag er doch die Regungen und Gefühlserschütterungen seiner Gesprächspartner präzise aufzufangen. Daraus ergibt sich eine höchst spannende, manchmal vergnügliche, oft erhellende Lektüre über die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts und die Menschen hinter dem Erfolg.
«Die Seismografie des Fragens» Zitate-Sammlung aus dem Werk
«Ich frage mich nie, warum und wozu wir auf der Welt sind. Das Leben ist viel zu unergründlich und zu komplex, um eine Formel dafür zu finden.»
Susan Sontag (1933–2004)
«Ich würde sogar mit meinen Feinden reden. Weil ich irgendwie verstehe, dass sie falsch informiert sind. Und das ist schliesslich keine böse Absicht.»
Leni Riefenstahl (1902–2003)
«Wenn man mir oder anderen in meiner Gegenwart zu schmeicheln versucht, muss ich an mich halten, meine Verachtung nicht zu zeigen.»
Guy Baron de Rothschild (1909–2007)
«Political Correctness ist eine neue Tyrannei. Eine direkte Fortsetzung des Kommunismus.»
Doris Lessing (1919–2013)
«Mit einem Schlag stand ich zwischen den weltberühmten Beatles und meinen unbekannten Freunden der Boheme. Ich fühlte mich ziemlich verloren und allein.»
Yoko Ono (1933)
«Ruhm ist vor allem Arbeit.»
Hildegard Knef (1925–2002)
«Überhaupt war ich niemals eifersüchtig oder gar verrückt vor Liebe. Und darüber bin ich sehr froh. Mir ist, als wäre ich von einer Krankheit oder Verunstaltung verschont geblieben.»
Rosamunde Pilcher (1924)
«Ich habe mich nicht aufgelehnt, sondern meine Aufmachung als Mittel zum Zweck benutzt, um ein ganz bestimmtes Ziel zu verfolgen.»
Liselotte Pulver (1929)
«Humor ist eine todernste Angelegenheit.»
George Tabori (1914–2007)
«Ich habe auch niemals Windeln gewechselt, weil ich Babys nicht leiden kann. Wenn die Frauen, sie in die Welt setzen, sollen sie sich auch um sie kümmern.»
Tomi Ungerer (1931)
«Schwierig wird es immer dann, wenn das Teuflische etwas Schönes in sich birgt …»
David Hockney (1937)
«Bei genauem Hinsehen kann man feststellen, dass sich die Ideen der Modewelt in den letzten dreissig Jahren nur noch im Kreise drehen. Mit Ausnahme meiner Arbeiten.»
Vivienne Westwood (1941)
«Gott hat einen zweifelhaften Sinn für Humor bewiesen, als er die Welt erschuf und uns mit so viel staunenswerter Schönheit, aber auch fatalen Irrtümern umgab.»
Stephen Fry (1957)
«Die Welt ist kein angenehmer Ort, also geht es auch nicht ohne Angst.»
Ian McEwan (1948)
«Es ist schon beängstigend, so schüchtern zu sein und den berühmtesten Mann des Jahrhunderts zum Vater zu haben.»
Paloma Picasso (1949)
Jörn Jacob Rohwer
«Die Seismografie des Fragens. Biografische Gespräche»
872 Seiten
(Salis 2014).