«DIE KINDER VOM NAPF» Kinderlebensraum im Entlebuch
Ein ganzes Jahr lang hat die Filmemacherin Alice Schmid 50 Kinder im Entlebucher Napfgebiet mit der Kamera begleitet. Sie bietet Einblicke in eine besondere Lebenswelt.
Inhalt
Kulturtipp 24/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Urs Hangartner
Es fängt finster an: Die Leinwand ist dunkel, man nimmt wacklige Lichter wahr, dazu hört man Keuch-Geräusche. Dann wird klar: Drei Kinder stapfen frühmorgens im Winter durch den Schnee, Stirnlampen leuchten ihnen den Weg. Weiter gehts per Gondelbahn den Berg hinab zum Schulbus, der die Kinder nach Romoos bringt. Wir befinden uns am Napf, im ländlichen Luzerner Entlebuch, einer Region im Herzen der Schweiz, die zu den Unesco-Biosphärenreservaten geh&oum...
Es fängt finster an: Die Leinwand ist dunkel, man nimmt wacklige Lichter wahr, dazu hört man Keuch-Geräusche. Dann wird klar: Drei Kinder stapfen frühmorgens im Winter durch den Schnee, Stirnlampen leuchten ihnen den Weg. Weiter gehts per Gondelbahn den Berg hinab zum Schulbus, der die Kinder nach Romoos bringt. Wir befinden uns am Napf, im ländlichen Luzerner Entlebuch, einer Region im Herzen der Schweiz, die zu den Unesco-Biosphärenreservaten gehört. Wir erleben Kinder im Jahreslauf, Winter, Frühling, Sommer, Herbst, in der Schule, daheim beim wackeren Mitarbeiten auf dem Bergbauernhof, in der Freizeit.
Grosse kleine Welt
Der Habicht kreist am Himmel und holt die Hühner, und der Wolf war da. Einer erklärt, wie das Mausefallenstellen («Muusen») im Feld praktiziert wird, andere heuen wie die Grossen oder helfen beim Pfosteneinschlagen («Hagen»). Die Kinder packen mit an daheim.
In der Schule machen sie sich Gedanken zum Thema «Entvölkerung» und haben gute Ideen parat: «Wenn Carlo Janka oder Simon Ammann hier leben würden, wäre Romoos voll gefüllt.» Oder so: «Man sollte Romoos etwas berühmter machen, wie Hollywood.» Apropos: Gefragt wird auch, ob man berühmt werden könne, wenn man aus Romoos komme. Ein Erwachsener gibt Antwort am Beispiel von Bernhard Wicki (1919–2000). Der weltberühmte Schauspieler und Regisseur wurde zwar in Österreich geboren, war aber in der Entlebucher Gemeinde heimatberechtigt. In Romoos habe er 1979 seinen sechzigsten Geburtstag im Hotel Kreuz gefeiert, darf nicht ohne Stolz erzählt werden. Kindergedanken auch zum Thema «Regieren»: «Wenn ich die Welt regieren könnte, würde ich es immer schneien lassen, ein Red Bull trinken oder alles Gott überlassen.» Es wird am Napf auch (früh-)englisch gesprochen: «Romoos is super. There are one bakery, one postoffice, one school.»
Auch magischen Welten begegnet man. Mit der Klasse gehts zum Abgrund des Änzilochs. Hierhin, in den Talkessel am Fusse der Stächeleggflue, so will es die Sage, sind die Seelen böser Menschen als Geister verbannt. Sie müssen zur Strafe Steine hochstossen, die immer wieder zurückrollen. So entsteht im Änziloch der Donner.
Asien, Afrika, Napf
Regisseurin Alice Schmid hat nach TV-Filmen zu Kinderthemen mit Schauplätzen in fernen Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas für ihren ersten Kinofilm den Fokus auf die eigene engere Heimat gerichtet: Kinder im Herzen der Schweiz, auf eine Art auch eine vielleicht fremd erscheinende Welt, die sie uns nahebringt in ihrem Jahreszeiten-Panorama. Die Kamera ist stets nah dran an ihren «Subjekten», vertrauensvoll scheint offenbar das Verhältnis der Kinder zur Filmerin, so, wie sie sich bewegen und artikulieren für den Film. Alice Schmid zeigt nur, sie verzichtet auf jeglichen Kommentar, lässt das Geschehen für sich selber sprechen. Was man unter Umständen bedauert: Dass dieses Napf-Jahr nur 87 Kinominuten dauert.