Die grosse Lebenslüge
Bettina Oberlis Film «Lovely Louise» ist eine melancholische Komödie über schiefgelaufene Lebenswege und aussergewöhnliche Familienverhältnisse.
Inhalt
Kulturtipp 18/2013
Urs Hangartner
Hätte sie damals in Hollywood eine Rolle angenommen, wäre sie die neue Garbo geworden. So jedenfalls sieht die 80-jährige Louise (Annemarie Düringer) heute ihre Vergangenheit im Filmgeschäft. Sie lebt mit ihrem Sohn André (Stefan Kurt) in einer gemeinsamen Wohnung. Der Mittfünfziger fährt Taxi und bastelt nachts in der Garage an Modellflugzeugen.
Steffi (Nina Proll) vom Imbissstand beim Modellflugzeugplatz wäre eine Frau für A...
Hätte sie damals in Hollywood eine Rolle angenommen, wäre sie die neue Garbo geworden. So jedenfalls sieht die 80-jährige Louise (Annemarie Düringer) heute ihre Vergangenheit im Filmgeschäft. Sie lebt mit ihrem Sohn André (Stefan Kurt) in einer gemeinsamen Wohnung. Der Mittfünfziger fährt Taxi und bastelt nachts in der Garage an Modellflugzeugen.
Steffi (Nina Proll) vom Imbissstand beim Modellflugzeugplatz wäre eine Frau für André. Doch wie es im Taxi zur Sache kommt, unterbricht ein Telefonanruf von Louise die traute Zweisamkeit – die Mutter will abgeholt werden. André ist stets zur Stelle für sie, so wie er sie auch regelmässig zum «Sprüngli» an der Zürcher Bahnhofstrasse chauffiert. Sie zelebriert dort ihr Kaffee- und Kuchen-Ritual.
Eines Tages taucht Bill (Stanley Townsend) auf. Er gibt sich als der verschwiegene zweite Sohn von Louise aus. Bill nistet sich bei den beiden ein; André zieht in die Garage um. Da fliegen Louise und Bill zusammen nach Spanien in die Ferien. Bill hat sich von Louise Geld geliehen, das er verzockt, statt es zu vermehren. André eilt den beiden mit dem Taxi Richtung Spanien nach. Im Feriendomizil kommt es zu einer handfesten Auseinandersetzung der beiden Brüder.
Konflikte zeigen
Ist Bill wirklich der zweite Sohn, der Bruder? Verhielt es sich mit Louises Verzicht auf eine Hollywood-Karriere in Wahrheit vielleicht ganz anders? André kommt der Lebenslüge seiner Mutter auf die Schliche.
In Bettina Oberlis neuem Werk debütiert der Zürcher Adrian Weyermann mit feiner Musik als Filmkomponist.
Der Erfolgsregisseurin Bettina Oberli («Die Herbstzeitlosen») geht es um den «Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und der Sehnsucht nach Ausbruch». Dafür findet sie die sprechenden Bilder der Schlussszene: André, der inzwischen ausgezogen ist, startet seine neun mit viel Herzblut gebastelten Modellflieger. Er lässt sie ineinanderkrachen und vom Himmel stürzen – und verfolgt seinen zerstörerischen Befreiungsakt mit grosser Befriedigung.