Eine 42-jährige Schriftstellerin aus Dänemark sucht einen ruhigen Ort zum Weinen. «Einen solchen zu finden, ist gar nicht leicht», denkt sie und fährt mehrere Stunden mit dem Bus, bis sie sich auf eine passende Bank an der Küste setzt. Nach kurzer Zeit kommt ein junges Paar aus der Gegend auf sie zu: «Sie wissen, dass erst morgen wieder ein Bus fährt?» Da ein Orkan aufzieht, nehmen John und Putte die traurige Frau mit zu sich nach Hause – als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Auf der Suche
Bente – so nennen die beiden ihren Gast – fühlt sich auf Anhieb wohl in ihrem kleinen Häuschen. Sie wird wie ein Familienmitglied behandelt, liebenswürdig umsorgt und in den gemeinsamen Alltag integriert. Bente ist aber nicht sehr gesprächig und gibt fast nichts von sich preis. Denn was die Gastgeber nicht wissen: Sie leidet an Depressionen, hat wegen einer schlechten Nachricht Hals über Kopf ihren Partner verlassen und sucht nun nach einer neuen Bleibe. «Wegen dem Orkan fährt der Bus bis auf weiteres nicht. Wie sehen deine Pläne aus? Fürs erste kommst du wohl nirgendwo hin», sind sich Putte und John sicher.
Rollenwechsel
Da Bente keine konkreten Pläne hat, bleibt sie vorerst bei ihren zwei neuen Bekannten. «Jetzt wäre es wohl angebracht zu sagen, dass ihr euch nicht zu viel Mühe machen sollt», sagt sie eines Tages. Unterdessen hat sie schon viele nette Leute aus der Nachbarschaft kennengelernt – wie Elly, eine ältere Dame, die immer wissen will, ob es etwas Neues gibt. Und dann kann sich Bente revanchieren: Weil John verunfallt und im Spital liegt, kümmert sie sich nun um den Haushalt. «Im Augenblick wären wir ohne dich ja ziemlich aufgeschmissen», stellt Putte dankbar fest.
Helle Helle bringt mit dem Roman «Färseninsel» feinfühlig zum Ausdruck, wie wichtig es ist, gute Freunde zu haben, die für einen da sind – und das, ohne eine konkrete Gegenleistung zu verlangen. Zudem schildert sie schön, wie selbstverständlich es meist auch heute noch ist, dass sich Nachbarn auf dem Land in den unterschiedlichsten Situationen helfen und zusammenhalten. Zwischen den Zeilen kommt dem Leser eine unglaubliche Wärme entgegen, welche die Protagonisten der unglücklichen Bente gegenüber ausstrahlen. Auch der Humor kommt in der Geschichte nicht zu kurz: So gibt es immer wieder Situationen, in denen man sich beim Lesen ein Schmunzeln nicht verkneifen kann.
Ausgezeichnet
Die Schriftstellerin Helle Helle, die mit richtigem Namen Helle Olsen heisst, wurde 1965 geboren, studierte in Kopenhagen Literaturwissenschaft, besuchte die Schriftstellerschule und arbeitete mehrere Jahre beim dänischen Rundfunk. Ihr erster Roman «Beispiele von Leben» kam 1993 in den Buchhandel. Sie wurde für ihre Werke mehrfach ausgezeichnet. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Dänemark.
Buch
Helle Helle
«Färseninsel»
222 Seiten
(Dörlemann 2015).