Die Bürde des Wissens
Dramaturg Lukas Bärfuss hat für das Schauspielhaus Zürich sein zweites Auftragswerk geschrieben: «Zwanzigtausend Seiten» ist eine Tragikomödie über das kollektive Gedächtnis.
Inhalt
Kulturtipp 03/2012
Babina Cathomen
Lukas Bärfuss wählt einen fiktionalen Zugang zu historischen Themen: In seinem neuen Stück fällt dem Gelegenheitsarbeiter Tony eine Kiste mit Büchern auf den Kopf – allesamt Bände über die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs. Von diesem Tag an ist sämtliches Wissen dieser Bände in seinem Gedächtnis gespeichert. Tonys Freundin, Neurologen, Professoren und Journalisten bewundern den Gedächtniskünstler. Für ihn selbst...
Lukas Bärfuss wählt einen fiktionalen Zugang zu historischen Themen: In seinem neuen Stück fällt dem Gelegenheitsarbeiter Tony eine Kiste mit Büchern auf den Kopf – allesamt Bände über die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs. Von diesem Tag an ist sämtliches Wissen dieser Bände in seinem Gedächtnis gespeichert. Tonys Freundin, Neurologen, Professoren und Journalisten bewundern den Gedächtniskünstler. Für ihn selbst entpuppt sich seine Gabe aber als Fluch: Tony hadert mit den Ereignissen, die sich ihm ins Hirn gebrannt haben. Etwa mit dem Schicksal des jüdischen Flüchtlings Oskar, der über die Schweizer Grenze geschafft und später deportiert wurde. So schnell wie möglich möchte er das Wissen loswerden – und lässt sich auf ein Experiment mit unbestimmtem Ausgang ein.
Verantwortung zentral
Die Verantwortung sei ein zentraler Aspekt in seinem Stück, sagt Lukas Bärfuss: «Was bedeutet sie für den Einzelnen und was für die Gesellschaft? Und was passiert, wenn das Eigeninteresse mit dem allgemeinen Interesse kollidiert?» Im Stück werden Politik und historische Betrachtungsweisen genauso behandelt wie die Beziehung des Menschen zu sich selbst und zu den anderen. In Bezug auf die Schweiz wirft Bärfuss die Frage nach einem nationalen historischen Gedächtnis auf. Dramaturgin Andrea Schwieter betont aber, dass der Text nicht an einen bestimmten Ort gebunden sei. «Es geht darum, wie die Vergangenheit den Menschen in der Gegenwart bestimmt. Und es stellt sich die Frage, welches Wissen als nützlich erachtet wird», sagt sie.
Regisseur Lars-Ole Walburg ist ein langjähriger Arbeitspartner von Bärfuss. Zwischen den beiden besteht ein reger Austausch. «Bei der Begegnung zwischen meinem Text und der Realität der Bühne kann es zu Missverständnissen oder Umdeutungen kommen – alles sehr willkommen, wenn Bewegung und Lebendigkeit drin sind», sagt Bärfuss.
Zur Inszenierung verrät Dramaturgin Schwieter nur so viel: «Das Bühnenbild wird aus einem Erinnerungsraum bestehen, der das Wissen zum Thema macht.» Sean McDonagh wird in der Rolle des Tony die schwere Bürde des Wissens tragen.