Ungefragt wollte ihm der französische Staat 2013 eine Medaille umhängen, den Orden der Ehrenlegion, den andere noch so gerne erhalten würden. Nicht Jacques Tardi, der dankend ablehnte: «Wir Künstler brauchen Freiheit, keine Nähe zum Staat.» Er wolle seine Unabhängigkeit bewahren und nichts annehmen, von welcher politischen Macht auch immer, liess der international renommierte Künstler vor zwei Jahren verlauten.
Herz für Verlierertypen
In künstlerischer Unabhängigkeit hat Tardi (*1946) über mehr als vier Jahrzehnte ein unverkennbares Werk geschaffen. Er kreierte engagierte Arbeiten, die über den Unterhaltungswert hinaus meist eine soziale, politische Haltung bezeugen. Der Künstler stellt die kleinen Leute ins Zentrum, die Opfer der grossen Ereignisse werden und die Geschichte erleiden. Sein Herz schlägt für Verlierertypen; seine Protagonisten sind oft Antihelden, gebrochene Figuren. Das Kleine ist dem Künstler Tardi wichtig: «Ich erzähle gerne kleine Alltagsdinge, weil sie viel sagen über die Lebens- und Überlebensbedingungen der Menschen in der jeweiligen Zeit.» Angereichert sind Tardis Comic-Geschichten vielfach mit rabenschwarzem Humor, mit grotesk überzeichneten Szenen.
Stilistisch pflegt Tardi einen klaren Strich, selten verwendet er Farbe, in der Regel sind seine Bilder in Schwarz-Weiss und Grau gehalten. Er zeichnet die Hintergründe realistisch treu. Seine Personen erscheinen in karikierter Gestalt mit prägnanten Formen. Ob Fin de Siècle, Erster und Zweiter Weltkrieg oder andere frühere Jahrzehnte – in seinen Zeichnungen müssen die Details stimmen. Tardi gilt als gewissenhafter, akribischer Rechercheur, was Zeiten und Schauplätze angeht. Er nutzt schriftliche Quellen, Filme, Bildarchive, um eine Zeit zu rekonstruieren. Im Einzelfall reist er zu den Schauplätzen, um etwa Gebäude und Landschaften zu fotografieren und sie später in seine Comic-Zeichnungen einzubauen.
Kriege als Obsession
Jacques Tardi schaffte den Durchbruch in den 1970er-Jahren mit seiner Serie «Adeles ungewöhnliche Abenteuer»: ein fantastisches Pastiche aus der Belle Epoque mit einer speziellen Heldin. Adele ist Schriftstellerin mit detektivischer Ader. Zu Tardis Œuvre gehört zudem eine ganze Reihe von Krimi-Adaptionen. So hat er neben Werken der Autoren Jean-Patrick Manchette und Didier Daeninckx mehrere Romane von Léo Malet um den Privatdetektiv Nestor Burma kongenial ins Medium Comic übertragen. Sie spielen alle in stimmigen Bildern eines Paris, das längst vergangen ist.
Kriege sind die grosse Obsession des bekennenden Pazifisten Jacques Tardi, Ausdruck für den Wahnsinn der Welt und die Unvernunft des Menschen. Mehrere von Tardis Comic-Alben sind dem Ersten Weltkrieg gewidmet. Der Anstoss dazu liegt im Biografischen: Die Grossmutter hat ihrem Enkel von den Gräueln des Ersten Weltkriegs berichtet. Der Grossvater war zeitlebens nicht in der Lage, als Kriegsheimkehrer von den traumatisierenden Erfahrungen zu erzählen.
Thema von Tardis jüngstem Werk ist der Zweite Weltkrieg. Diesmal spricht der eigene Vater als Zeitzeuge. Auf Drängen seines Sohnes hat René Tardi in den 1980er-Jahren seine Kriegserlebnisse niedergeschrieben und dem Sohn von jenen Jahren erzählt. Fast fünf Jahre, bis zu seiner Flucht, verbrachte René Tardi als französischer Kriegsgefangener in einem deutschen Stammlager in Pommern. Diese unheldenhaften, entbehrungsreichen Kriegsjahre finden ihren Niederschlag in den beiden Bänden von «Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB». Als künstlerischer Kniff spielt Sohn Jacques in den Geschichten mit, er befragt seinen Vater in den historischen Szenen.
Live-Auftritt in Luzern
Tardi ist bei Fumetto persönlich zu Gast; er bestreitet in Luzern unter anderem eine szenische Lesung mit Musik: In der Produktion «Putain de Guerre!» projiziert Tardi eigene Schützengraben-Bilder aus seinen Erste-Weltkrieg-Comics. Dazu singt seine Frau Dominique Grange Antikriegslieder, begleitet von der Band Accordzéâm.
Comic
Jacques Tardi
«Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB»
200/128 Seiten
(Edition Moderne 2014/2015).
Werkschau Jacques Tardi
Sa, 7.3.–So, 15.3., 10.00–20.00 Neubad Luzern
Spectacle «Putain de Guerre!»
Mit Jacques Tardi und Dominique Grange
Fr, 13.3., 20.15 Südpol Luzern
www.fumetto.ch