«Paradox», «geheimnisvoll», «exzentrisch», «unerschrocken»: So charakterisieren Gewährspersonen die Frau, die im Zentrum des Dokumentarfilms steht. Eine Unbekannte, die erst nach ihrem Tod berühmt werden sollte.
Alles begann 2007 auf einer Auktion, wo John Maloof in Chicago für 380 Dollar eine Schachtel mit Foto-Negativen ersteigerte. Maloof arbeitete zu jener Zeit an einem historischen Buch über ein Quartier in Chicago. Die Fotos aus der Auktion konnte er zwar nicht verwenden. Zwei Jahre später machte er in der Schachtel aber folgenreiche Funde.
Maloof fand später heraus, dass die Aufnahmen von Vivian Maier (1926–2009) stammten, und erhielt Zugang zum gesamten Nachlass von über 150 000 Fotos, die meisten davon nicht entwickelt. Sie zeigen Eleganz und Elend in Alltagsszenen, noble Damen, Randständige, viele Kinder, dazu eigentümliche Selbstporträts als Schattenwurf oder Spiegelungen.
Maloof macht sich selber zum Förderer und Vermittler dieser Fotografien und arbeitet bis heute das immense Bilder-Konvolut auf. Er publiziert Bücher und kuratiert Ausstellungen. Gemeinsam mit Charlie Siskel hat er diesen Film über Vivian Maier, ihr Leben und Werk realisiert.
Das ist eine spannende Spurensuche. Dankbar kann man Maier dafür sein, dass sie ein Messie war, der alles noch so Unwichtige aufhob – etwa Quittungen, die Maloof zu Adressen und Informationen führen.
Hauptberuflich war Vivian Maier Kindermädchen und Haushälterin in Chicago und New York, eine Einzelgängerin ohne Freunde oder Familie. Und sie war Fotografin, nur wusste das kaum jemand. Noch weniger bekannt war, von welcher Qualität ihre Arbeiten zeugten, die sich in die Tradition der «Strassenfotografie» einreihen, vergleichbar mit der Qualität eines Robert Frank, eines Henri Cartier-Bresson oder einer Diane Arbus.
Zeitlebens gab Vivian Maier kaum etwas von sich preis. Sie verwendete verschiedene Schreibweisen ihres Familiennamens und legte sich einen französischen Akzent zu. «Vielleicht wollte sie eine andere sein», spekuliert jemand im Film. Auch eine nie geklärte «dark side» kommt zur Sprache, eine Schattenseite: Auskunftspersonen, die als Kinder unter der Obhut von Maier waren, berichten von Gewalt, die sie ihnen gegenüber ausübte. Und es wird Gewalt vermutet, die Vivian Maier früher selber erlitten haben muss. Unter anderem sei bei ihr, so ein Zeuge, «eine Wut auf Männer» zu beobachten gewesen.
Die Filmemacher finden viel heraus. Doch etliches bleibt im Dunkeln. Warum machte sie so viele Bilder? Warum hat sie die Fotos nie gezeigt? Wieso hat Maier selber massenhaft Bilder gar nie entwickeln lassen, aber den ganzen Bestand – Filmrollen, Negative, Super-8-Filme – aufbewahrt? Schliesslich: Wer war Vivian Maier? Gut, lässt der Film viele Fragen offen. So bewahrt sich die mysteriöse Person ihre letzten Geheimnisse über ihren Tod und diesen Film hinaus.
Finding Vivian Maier
Regie: John Maloof, Charlie Siskel
Ab Do, 28.8., im Kino