Die tote Philippina liegt aufgebahrt im offenen Sarg im Bestattungsinstitut, eine Gruppe Landsleute steht um sie herum und singt Karaoke für sie. Ein junges Paar schickt ein brennendes Schiffchen auf den Fluss hinaus, als Gedenkakt für sein totgeborenes Kind. Ein Unternehmer vergräbt die Urne mit den Überresten seines Bruders im Garten seiner Villa. – «Wir müssen innovativ sein», sagt der Bestatter Conrad (Mike Müller) gleich in einer der ersten Szenen programmatisch, und verweist dabei auf die USA, wo man die Asche ins All schicke. Die erfolgreich gestartete SRF-Serie «Der Bestatter» geht diesen Sommer in die Produktion der dritten Staffel. Tatsächlich ist das Deutschschweizer Script in der Kombination von Krimi und Bestatterszene ausnehmend gut, biederfrei, mit einer leichten Ironie und Schrägheit, die sich am besten entfaltet, wenn man die DVDs am Stück und im beschleunigten Abspielmodus reinzieht.
Die coole US-Serie «Six Feet Under» (2001-2005), in der Leichname tagein, tagaus im Haus der Bestatterfamilie Fisher aufgebahrt werden, hat den Beruf des Bestatters in der populären Filmwelt erstmals so richtig salonfähig erscheinen lassen. Und in einem ist die Schweizer Serie noch viel cooler als die amerikanische – hier wird nämlich konsequent alternativ bestattet.
In den bisher ausgestrahlten zehn Folgen ist nur ein einziges Mal der Innenraum einer Kirche zu sehen, und gar nie spricht ein Pfarrer auch nur ein einziges Wort. Im 19. Jahrhundert musste die Kirche die Sterbebegleitung und Totenversorgung an medizinische Einrichtungen und damit an säkulares Pflege- und Bestattungspersonal abtreten. Und seit ein, zwei Jahrzehnten verliert sie in unseren Breitengraden nun zunehmend auch ihre Gestaltungsrolle bei Beerdigungen, sie wird mehr und mehr verdrängt von privaten Trauerrednern und freischaffenden Ritualbegleitern, von bürgerlichen Einzelinitiativen. Und von Einwanderern, die eigene Bräuche mitbringen.
Die Schweizer Bischofskonferenz hat denn auch prompt gleich schon nach der ersten «Bestatter»-Staffel kritisiert, dass «die Dimension Kirche konsequent ausgeblendet» werde. Die Schweiz macht es möglich, denn hierzulande kann man Urnen privat aufbewahren oder die Asche nach Belieben in der Natur verstreuen, während dies etwa in Deutschland, Österreich oder Italien verboten ist. Dort herrscht der sogenannte Friedhofszwang, dort müssen auch kremierte Tote auf Friedhöfen ruhen. Die kreative Schweizer Bestattungsszene, die sich zweifellos der liberalen Gesetzeslage verdankt, wartet mit einem boomenden Angebot auf; so kann man die Asche Verstorbener in einer Gletscherspalte versenken, in eine Baumkrone heben oder sie aus dem Helikopter schütten – oder man könnte sie auch von einer Autobahnbrücke herab verstreuen, wie im «Bestatter» überspitzt vorgeführt, wo einem verstorbenen Autofreak auf diese Art die letzte Ehre erwiesen wird. Trostloser geht es kaum. Moderner aber auch nicht.
Zwei der weitreichendsten Schweizer Bestattungsinnovationen der letzten Jahre sind der FriedWald und der Totendiamant. Der Thurgauer Ueli Sauter hat vor 15 Jahren den FriedWald lanciert: Kunden kaufen in bestimmten öffentlichen Waldarealen einen Baum, unter dem sie jetzt oder später eine oder mehrere Urnen beisetzen können. Das Konzept hat internationale Karriere gemacht, ausserdem wurde die Baumbestattung von zahlreichen Friedhöfen und anderen Naturbestattern kopiert. Die Schweizer FriedWälder, knapp 70 mittlerweile, sind nicht gekennzeichnet, sie sind weder von Zäunen noch Mauern umgrenzt, es gibt kein schweres Eingangstor, keine Schwelle, keine Öffnungszeiten. Im FriedWald sind die Toten mitten unter uns, aber wir wissen das nicht, denn wir sehen nicht, dass sie da sind; es gibt keine Grabsteine oder andere Zeichen. Der lustigen Freizeitgesellschaft im Wald, den Liebespaaren, Joggern, rufenden Kindern und bellenden Hunden bleiben sie verborgen. Die dichte konzentrierte Atmosphäre des Friedhofs hat sich hier in Luft aufgelöst – eine neue Art von Totenverdrängung?
Beim Totendiamant wird der Kohlenstoff, die Grundlage aller Diamanten, aus der Kremationsasche selbst gewonnen: Bis solche Diamanten gewachsen sind, dauert es nach Abgabe der Urne – je nach bestelltem Karatgehalt (ein Einkaräter kostet bis zu 20 000 Franken) – Wochen oder Monate, dann kann man die Überreste eines Verstorbenen in Form eines Diamanten wieder entgegen- nehmen. Weltweit führend in diesem Geschäft ist die Bündner Firma Algordanza in Domat Ems, die der grossen internationalen Nachfrage kaum nachkommen kann – das Individuum, unsterblich veredelt.
Die christliche Community funktioniert in unserem Leben nicht mehr, und so lassen wir uns konsequenterweise auch bestatten, wie wir gelebt haben: individuell, a-religiös, privat. Wir legen uns fest. Wir suchen Trost in der individuellen Gestaltung, wir verlängern uns ins Element und in die Form hinein, die uns im Leben zugesagt hat, so, wie im «Bestatter» die Überreste eines Winzers im Rebberg verstreut werden. Bei solchen Settings mag bisweilen die nostalgische Sehnsucht nach einem Pfarrer auftauchen, der mit fester Stimme zu einer Gemeinde von einem Gott spricht und die Community auch im Tod beschwört, denn für den Abschied an sich ist der Ritualwert der kirchlichen Abdankung nach wie vor hoch, auch wenn der Glaube fehlt.
Es ist das Verdienst der TV-Serie, dass sie dennoch solcher Nostalgie widersteht und stattdessen die alternative Bestattung leichthändig inszeniert, so, wie sie eben ist und wie es sie auszuhalten gilt: innovativ, ein bisschen interkulturell, ein bisschen schräg, ein bisschen trostlos, modern.
Corina Caduff ist 1965 in Chur geboren und heute als Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste tätig. Sie hat unter anderem verschiedene Essaybände publiziert, zuletzt die «Szenen des Todes» (Lenos 2013).