Dem käuflichen Bürgermeister schwant, was ihm droht – viel Ungemach. «Und so beeile ich mich, Dir mitzuteilen, dass soeben ein Beamter eingetroffen ist …», liest er seinen honorigen Mitbürgern aus einem Brief vor, der ihn warnen will. Dieser zaristische Beamte habe die Aufgabe, die Gemeindegeschäfte unter die Lupe zu nehmen, um die es leider schlecht bestellt ist. Denn allenthalben herrscht Korruption im Land, auch auf dem Bürgermeisteramt.
Das ist der verheissungsvolle Einstieg in die Gesellschaftssatire «Der Revisor» des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol (1809–1852). Die Schlossfestspiele bringen das Stück nun auf dem Wasserschloss Hagenwil bei Amriswil auf die Bühne. Besser gesagt, in den Innenhof, denn die Vorstellungen spielen im mittelalterlichen Gemäuer des Anwesens, dessen Anfänge ins 13. Jahrhundert zurückreichen und das nun seit fünf Generationen im Besitz der gleichen Familie ist.
«Inszeniere eine Tragödie komisch, eine Komödie jedoch ernst», ist das Credo von Regisseur Florian Rexer. Er will Gogols Gesellschaftskritik zwar gelten lassen, aber kein belehrendes Stück inszenieren. So habe es bei den Proben wenig zum Lachen gegeben: «Es soll nicht vor der Premiere lustig sein, sondern danach.» Die enge Bühne in Hagenwil ist für das Publikum auf zwei Seiten hin offen. «Das zwingt die Schauspieler, doppelseitig zu spielen.»
Korruption und Willkür
Für Rexer ist Gogols Geschichte vom «Revisor» so gut, dass man «sie fast nicht kaputt inszenieren kann». Das Stück kam im April 1836 in Sankt Petersburg zur Uraufführung. Gogol veranschaulichte damit Korruption und Willkür in der zaristischen Provinz, ohne das autokratische Regime grundsätzlich infrage zu stellen. Der Zuschauer ahnt gleich zu Beginn, dass der Bürgermeister und seine lokalen Honorationen einer Verwechslung aufsitzen: Der angekündigte Besucher ist kein St. Petersburger Revisor. Er erweist sich vielmehr als Hochstapler, der die ihm erwiesenen Gefälligkeiten von den Bürgern noch so gerne annimmt. Bald sind alle Beteiligten in ein Lügengeflecht verwoben – wie und ob sie daraus finden, sei nicht verraten.
Der stets kränkliche Autor Nikolai Gogol war ein seltsamer Zeitgenosse. Er hatte zwar vor allem mit seinen Erzählungen Erfolg, und er war ein wacher Kritiker. Aber er hatte auch einen Hang zum unerklärlich Dämonisch-Bösen mit Teufeln und Hexen. Die Anregung für den «Revisor» soll er vom älteren Schriftstellerkollegen Alexander Puschkin erhalten haben, der später bei einem Pistolenduell frühzeitig sein Leben verlor. Gogol war zwar kein Schütze, der um seine Ehre schoss. Dafür ein rastloser Bürger, der immer wieder quer durch Europa reiste, als suchte er irgendwo die Ruhe für seine literarischen Inspirationen – vergeblich. In späteren Jahren verfiel Gogol dem religiösen Wahn und starb an den Folgen einer Fastenkur, die seiner Spiritualität dienen sollte.
Die Nöte der Provinzler
Warum kommt nun gerade sein «Revisor» nach Hagenwil? Laut Dramaturg Roman Bottang will sich das Ensemble der Schlossfestspiele verschiedener Nationen annehmen und entschied sich dieses Jahr für Russland. Wer durch den beschaulichen Oberthurgauer Weiler zum Wasserschloss hinaufspaziert, kann sich gut vorstellen, wie ein Aufseher der Verwaltung in dieser abgelegenen Ecke des Landes nach dem Rechten sehen möchte. So gesehen stimmt der Ort der Inszenierung mit dem Stück überein, ohne den Hagenwilern Unlauteres zu unterstellen.
Regisseur Rexer arbeitet mit professionellen Schauspielern. Dazu gehören Falk Döhler, Marcus Coenen und Doris Haudenschild in den Hauptrollen. Sie nutzen die Theaterferien der grossen Bühnen für die Auftritte in Hagenwil. So können sich die Zuschauer im Schlosshof über die Nöte der zaristischen Provinzler amüsieren, die einem kleinen, aber fatalen Irrtum aufgesessen sind. Und jedermann weiss: Der richtige Revisor kommt bestimmt einmal – sei es im Bühnenstück oder im richtigen Leben.
«Der Revisor»
Premiere: Fr, 5.8., 20.30
Schloss Hagenwil Amriswil TG
www.schlosssfestspiele-hagenwil.ch