Der 26. Mai 2013 war der wichtigste Tag im ersten Zürcher Opernjahr von Andreas Homoki. Damals ging die szenisch verunglückte «Don Giovanni»-Premiere über die Bühne, die ein Buhsturm auslöste. Es war ein Debakel. Die Pereira-treuen Opernfreunde brachten nochmals ihre Anti-Homoki-Parolen hervor, sahen die Zürcher Oper am Boden und das Ende der neuen Intendanz nahe.
Etwas Gutes hatte dieser wilde «Don Giovanni» dennoch für Andreas Homoki, er konnte damit zeigen: Ich bin ganz anders als Alexander Pereira! Schlimm genug nämlich für ihn, dass es letztes Jahr öfter mal hiess: «Gar nicht so anders als Pereira!» Schlimm, weil Andreas Homoki vom Verwaltungsrat als Antithese zu seinem Vorgänger Alexander Pereira geholt wurde.
Der Erfolg kommt
Homoki kommt von der Komischen Oper Berlin, wo die Eigenwirtschaftlichkeit bei 15 Prozent liegt – in Zürich muss er 40 Prozent des Budgets selber einspielen. Kein Wunder, prophezeiten nach seinem Amtsantritt im letzten Sommer viele Opernfreunde Homokis Rausschmiss für Weihnachten. Das war lächerlich. Kaum brannten nämlich die ersten Kerzen am Adventskranz, vermeldete das Opernhaus: «139 Abos mehr verkauft als im Vorjahr!» Die zweite Überraschung folgte im März: Bei der Programmpressekonferenz verkündete man, dass die Auslastung bei über 80 Prozent liege – höher als unter Pereira. Später verriet Homoki sogar: «Fast alle Produktionen haben unsere Erwartungen übertroffen.
Die Schwelle bleibt
Allerdings lag etwa der Christoph-Marthaler-Abend «Sale» im vergangenen November bloss im Mittelfeld. Das traditionelle Opernpublikum war verstört und buhte den Regisseur für einen abgestandenen Abend aus – und blieb den Vorstellungen fern. Aber auch das «andere» Publikum, das sich zwischen Kino Riff Raff und Schiffbau bewegt, kam nicht. Homokis Ruf hinaus in die Stadt, «Schaut, wir sind auch eine Off-Bühne, wir sind ein Haus für alle!», verhallte im Nichts. Kein Wunder: Eine «Sale»-Karte kostete 32 bis 270 Franken. In Basel oder am Schauspielhaus Zürich gab es «Marthaler» für die Hälfte. Die Zürcher Opernschwelle blieb und bleibt für viele zu hoch – billige Volksvorstellungen hin, attraktiver Halbpreis-Opernhaustag her.
Ein erstes Fazit: Trotz Homokis Slogan «Oper für alle» ging kein Ruck durch die Stadt. Ein Blick ins «neue» Haus zeigt: Es kommen weiterhin jene, die immer kamen. Obwohl es für einige der Treuen ein Schock war, dass ein gutes Dutzend Plätze in Reihe 7 im 2. Rang dreimal mehr als bis anhin kostet – das Stammpublikum erfreut sich nach wie vor an den allabendlichen Einführungen, ist gespannt auf die neuen Künstler, kommt zum Montagsgespräch (ein Glas Wein gibts gratis) und liest Sibylle Bergs «Kolumne» im Opernhausmagazin «Mag». Die Materie ist trotz Homoki genau die gleiche: Oper – in all ihrem Glanz und ihren Abgründen.
Die Angst geht
Wer ein Budget von 134 Millionen verwaltet und dafür 80 Millionen Subventionen erhält, muss europaweit bewunderte Spitzenoper bieten. Homoki ist hier zwar mit dem Ruf des Bürgerschrecks angekommen, will in Zürich aber nicht die Revolution ausrufen und schon gar nicht mit extremem Regietheater und dem entsprechenden Publikumsschwund seinen Arbeitsplatz gefährden: Er möchte hier in den nächsten zehn Jahren zu einem Spitzenlohn arbeiten – Top-Regiegagen, da er in Zürich wie im Ausland inszeniert, nicht inbegriffen. Denn so kommt schnell mal ein Einkommen von einer halben Million zusammen.
Damit erwiesen sich die angstvoll erwarteten supermodernen Inszenierungen als gemässigt. Die neu besetzten Wiederaufnahmen waren und sind durchgeprobt, wirken wie neu. Erstaunlicherweise ist auch die Ablösung vom vermeintlichen Ballett-Halbgott Heinz Spoerli zu Christian Spuck spielend gelungen. Und «Romeo und Julia» war der Renner der Saison.
Die Chancen sind gut
Kurz: Das Opernhaus Zürich ist kein Gemischtwarenladen mehr, sondern zeigt eine ästhetische Ausrichtung. Homoki wählt neben angesagten Meistern Regisseure aus, die ihn gefördert haben oder die er selbst schon in Berlin gefördert hat. Das ergibt unter dem Strich eine Regielinie: In modernen Bühnenbildern werden Geschichten neu, bisweilen auch gegen das Libretto gedeutet und auf schauspielerisch hohem Niveau erzählt. Diese ästhetische Ausrichtung ist kein Neuland für die Zürcher, da im Gemischtwarenladen «Pereira» alles Platz hatte. Aber die Konsequenz ist neu.
Homoki ist keine Antithese zu Pereira, sondern er führt dessen Aufgabe zeitgemäss weiter. Geld spielt aber nicht mehr primär eine Rolle. Gehts um Details, sagt Homoki im Gespräch auch mal: «Fragen Sie bitte beim Marketing nach, da kann man Ihnen das alles besser erklären!»
Ein Blick auf die laufende Saison 2013/2014 offenbart Homokis Strategie: Nach der riskanten Aufführung von Bernd Alois Zimmermanns «Die Soldaten», gibt es Klassiker von Monteverdi bis Puccini – und Edita Gruberova darf wie in der ersten Saison weiterhin im «Roberto Devereux» auftreten.
Die Chancen, 2013/2014 im berüchtigten Kritiker-Ranking der Zeitschrift «Opernwelt» endlich ganz vorne mit dabei zu sein, stehen gut. Bernd Alois Zimmermanns «Die Soldaten» zum Saisonauftakt warf hohe Wellen, «Regisseurin des Jahres» Tatjana Gürbaca und Kritikerliebling Barrie Kosky – Intendant des «Opernhauses des Jahres», der Komischen Oper Berlin – werden im März «Aïda» und im Juni «Fanciulla del West» inszenieren. Und ab 8. Dezember kann Andreas Homoki als «Fidelio»-Regisseur selbst für Kritiker-Punkte sorgen.
Fidelio
So, 8.12.–Sa, 11.1.
Opernhaus Zürich
Inszenierung: Andreas Homoki
Dirigent: Fabio Luisi