Etikette ist alles. Solange das stimmt, sind traditionelle Werte wie Ehrlichkeit oder Liebe unerheblich. Nach dieser Devise lebt Pauline Manford, die begüterte Ehefrau eines New Yorker Anwalts in zweiter Ehe. Jeder engere zwischenmenschliche Kontakt ist ihr zuwider, sie fühlt sich nur an glamourösen Anlässen mit gesellschaftlichen Masken wohl, die sie am liebsten selbst organisiert.
Das ist die Welt, die Edith Wharton (1862–1937) in ihrem Roman «Dämmerschlaf» unerbittlich seziert. Sie zeichnet die Protagonistin Pauline Manford als eine schwerreiche Puppe, die «nichts so sehr fürchtet wie ihre Fältchen». Im Kontrast zu ihr steht ihre Tochter Nona, eine feinfühlige junge Frau mit ethischen Prinzipien. Die Mutter hinderte sie, eine Beziehung mit ihrem Cousin einzugehen, dem sie tief verbunden ist.
Wharton entwirft wie in einem viktorianischen Roman ein Beziehungsnetz von Familienmitgliedern in feinen Schattierungen. Da ist zum Beispiel Paulines Ehemann Dexter, der zwar seine Frau durchschaut, aber nicht sich selbst und seine Gefühle. Denn er ist der frivolen Lita zugetan, die sich mit Paulines Sohn aus erster Ehe langweilt. Pauline indes macht all die lächerlichen Moden der 20er mit, die uns heute noch vertraut sind. Sie lässt sich die «Haare ondulieren», sie besucht Verjüngungskuren. Vor allem sitzt sie aber dem esoterischen Scharlatan Mahatma auf, den Wharton einem New Yorker Vorbild nachzeichnete, dem damals populären Lehrer Paramahansa Yoganda, der in der Carnegie Hall für viel Geld über die «Ewige Jugend durch Zellerneuerung» schwadronierte.
Edith Wharton hat diesen, auf Deutsch lange Zeit vergriffenen Roman als Fortsetzungsgeschichte geschrieben. Entsprechend verästelt ist die Handlung – und trotzdem kann man das Buch nicht aus der Hand legen. Das Schicksal der Protagonisten, obschon satirisch überzeichnet, ist berührend. Rolf Hürzeler
Edith Wharton
«Dämmerschlaf»
Erste deutsche
Übersetzung: 1931 320 Seiten
Neue deutsche Übersetzung von Andrea Ott: Manesse 2013.
Lustspiel
Zwei Traumtänzer im Königreich Popo
Zum 200. Geburtstag des Dichters Georg Büchner ist am Radio sein Lustspiel «Leonce und Lena» zu hören. Auch die Lektüre amüsiert.
Ein unterhaltsames Stück über die Langeweile: Georg Büchner (1813–1837) gelingt dies in seiner mit 23 Jahren geschriebenen absurden Komödie «Leonce und Lena» spielend. «Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal», klagt Prinz Leonce vom Königreich Popo darin. Der junge Königssohn schwankt zwischen Langeweile und Melancholie. Erst als er von der geplanten Hochzeit mit der ihm unbekannten Prinzessin Lena aus dem Königreich Pipi hört, beschliesst er zu handeln. Mit seinem schlitzohrigen Diener Valerio verlässt er das Schloss, um der Liaison zu entgehen. Derweil flieht auch Prinzessin Lena mit ihrer Gouvernante vor der geplanten Hochzeit. Doch wie es das Schicksal will, laufen sich die beiden Königskinder in die Arme und verlieben sich – nichtsahnend – ineinander. Nach der nun doch noch erfolgten Hochzeit rufen die beiden Traumtänzer zum Müssiggang auf.
In seiner vordergründig lustig-leichten Liebesgeschichte persifliert Büchner das sinnentleerte und dekadente Feudalsystem sowie die provinzielle Kleinstaaterei seiner Zeit – und versetzt nebenbei der Romantik einen Seitenhieb. Im Radio ist das Stück in zwei verschiedenen Fassungen als Hörspiel zu hören. Babina Cathomen
Hörspiel
«Leonce und Lena»
Sa, 12.10., 21.00
Radio SRF 2 Kultur
(Produktion: SRF 1987)
So, 13.10., 18.20 SWR 2
(Produktion: SWF 1957)
Georg Büchner
«Leonce und Lena»
Erstausgabe: 1836
Heute erhältlich
bei dtv.