Er sitzt im Licht durchfluteten Penthouse hoch über den Dächern Londons – seine Lordschaft Baron Jeffrey Howard Archer of Weston-super-Mare. Ein untersetztes Männchen, das strahlt, als ob die Sonne zum ersten Mal über der Themse aufgegangen wäre. In dezentes Tuch gehüllt mit passender Krawatte. «Einfach Jeffrey, bitte», sagt er nach der formellen Begrüssung und wendet sich seiner Teetasse zu, die ihm von einer Hausangestellten diskret gereicht wird.
Harry, der Held
Lord Archer ist ein millionenschwerer Schriftsteller, der Bestseller um Bestseller herausgibt. In den 90ern war er ein Intimus von Premierministerin Margaret Thatcher, Vize-Vorsitzender der Konservativen Partei und Kandidat für das Londoner Bürgermeisteramt. Dann holte ihn eine Jahre alte Meineidsgeschichte ein, weil er einst – in den 80ern – den Besuch bei einer Prostituierten vor Gericht zu erwähnen vergass, als er danach gefragt wurde. Das trug ihm eine Gefängnisstrafe ein.
Schwamm drüber. Jetzt erscheinen seine Erinnerungen in der Form autobiografischer Romane. Die «Clifton Chronicles» sind süffig geschriebene Entwicklungsromane über den jungen Helden Harry, der den Aufstieg aus dem Arbeitermilieu von Bristol in die besseren Kreise schafft. Er verliebt sich in die Tochter eines korrupten Schiffsmagnaten; der gesellschaftliche Aufstieg scheint greifbar. Das ist so romantisch, wie es tönt – aber dennoch lesenswert. Denn Archer ist ein brillanter Erzähler und verpackt eine treffliche Darstellung des englischen Klassensystems in die Geschichte.
Archer erzählt das alles mit einem Charme, der ihn nie im Stich lässt, auch wenn er die Wahrheit frei interpretiert. Sicher ist: Nach dem Karriereknick hat der Lord nun als 75-Jähriger gesellschaftliche Anerkennung zurückgewonnen. Grund genug für ihn, um seine eigene Biografie mit den vier «Clifton Chronicles» im richtigen Licht erstrahlen zu lassen. Der erste Band «Spiel der Zeit» erzählt von der schweren Jugend der Hauptfigur und schaffte es in die «Spiegel»-Bestenliste. In Band 2, «Das Vermächtnis des Vaters», geht es um den dornenvollen Aufstieg des Underdogs und dessen glückliche Ankunft in den besseren Kreisen. Dieses Frühjahr folgt Band 3, «Erbe und Schicksal», der in der Nachkriegszeit spielt. Held Harry hat zu seiner grossen Liebe gefunden, doch das Erbe ihrer Familie droht das Glück zu zerstören.
Archer geniesst die Sonnenseite des Lebens. Er besitzt neben seinem Londoner Logis ein Landhaus in Cambridge und eine Villa auf Mallorca. Alle diese Wohnsitze sind mit wertvoller Kunst bestückt, im Londoner Penthouse leuchtet ein bläulicher Monet. «Kain und Abel» sagt er bescheiden dazu und erinnert an den lukrativen Bestseller, der ihm in den 80ern ein Vermögen brachte. Der Roman handelt von der Rivalität zweier Männer, der eine reich, der andere arm: Klassengegensätze trieben den Aufsteiger Archer schon immer um.
«Clifton Chronicles» von Jeffrey Archer
«Spiel der Zeit»
560 Seiten
Übersetzung: Martin Ruf
(Heyne 2015).
«Das Vermächtnis des Vaters»
480 Seiten
Übersetzung: Martin Ruf
(Heyne 2015).
«Erbe und Schicksal»
576 Seiten
Erscheint im April bei Heyne.
Band 4 erscheint im Herbst 2016.