Seine Texte bilden, so die Hamburger «Zeit», einen «Kanon des brutalen und komischen Irrsinns, den wir Leben nennen». Denis Johnsons neunter und jetzt letzter Roman «Die lachenden Ungeheuer» (im Original 2014 erschienen) ist eine Art existenzieller Agenten- und Abenteuerroman, der in seiner politischen Dimension tief geht. Als Ich-Erzähler fungiert Roland Nair, ein Amerikaner mit dänischem Pass, von seinem Vater «in Europa grossgezogen, vor allem in der Schweiz».
In undurchschaubaren Grauzonen unterwegs
Im Auftrag einer nachrichtendienstlichen Nato-Unterorganisation ist Nair nach Sierra Leone gereist, in die heruntergekommene Stadt Freetown. Er soll herausfinden, was sein alter Weggefährte Michael Adriko im Schilde führt. Adriko, aus dem Clan von Ugandas Diktator Idi Amin stammend, hat zusammen mit Nair in Afghanistan gedient. Jetzt ist er, wie er sich selber nennt, zum «Auftragsrambo» geworden. Er hat offensichtlich einen letzten grossen und vor allem lukrativen Plan: eine ultimative Transaktion, ein dubioser Deal, ein unsauberes Geschäft halt.
Adriko kennt keine Skrupel, wie seine Biografie zeigt. Von Missionaren erzogen, vom israelischen Geheimdienst Mossad ausgebildet, von der US-Armee in Krisengebieten in den Einsatz geschickt, «Folterer und Gefolterter». Adriko will nach seinem Coup seine afroamerikanische Verlobte in seinem Heimatdorf heiraten.
Nair und Adriko bewegen sich in einer Welt, die sich verändert hat, «seit die Zwillingstürme eingestürzt sind». Am meisten habe sich die Welt der Geheimdienste, der Sicherheit und der Verteidigung verändert: «Die Weltmächte öffnen ihre Kassen für eine erweiterte Version des alten ‹grossen Spiels›. Das Geld hat einfach keine Grenze, und viel davon wird fürs Verpfeifen und Bespitzeln ausgegeben. Auf dem Gebiet gibt es keine Rezession.»
Nair ist ein Verlorener in einer undurchschaubaren Grauzonen-Welt, im Zwielicht, jenseits von gut und böse. Auch er weiss nicht, was von wem genau gespielt wird. Sein Motiv für die Reise nach Afrika: «Ich bin zurückgekommen, weil ich das Chaos liebe. Anarchie. Irrsinn. Allgemeiner Zerfall.» Für andere sind Drogen, Diamanten und Uran die illegalen Handelswaren. Nair handelt mit Informationen.
Romane aus eigenen Erfahrungen gespeist
Wenn US-Autor Denis Johnson von kaputten Leben schreibt, dann speist er seine Literatur aus eigenen Erfahrungen. Johnson war einmal ganz unten, alkoholsüchtig und abhängig von schweren Drogen. Die Hinwendung zum Schreiben hat ihn gerettet. Dabei sind seine Texte Hiobsgeschichten geblieben, voller biblischer Motive und in einer schlichten, kräftigen Sprache geschrieben.
Das Positiv-Optimistische ist seine Sache nicht. In einem Interview erklärte sich Denis Johnson so: «Weshalb sollen meine Bücher gut ausgehen? Das Leben geht doch auch nicht gut aus. Wir altern, unsere Freunde sterben, und am Ende müssen wir selbst dranglauben! Was, bitte schön, ist daran positiv?» Der «zornige Apokalyptiker» («Nordwestschweiz») gilt als einer der grossen Erzähler der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur.
Johnson, 1949 in München als Sohn eines Besatzungs- und Geheimdienstoffiziers geboren, ist unter anderem auf den Philippinen und in Japan aufgewachsen. Am 24. Mai starb er, erst 67-jährig, in Kalifornien an den Folgen von Leberkrebs. Eigentlich hätte der in den letzten Jahren zurückgezogen lebende Autor seit längerem gar nicht mehr schreiben wollen. Er hat es dann doch noch getan.
Grosse Aufmerksamkeit fand der Autor mit seinem Debüt «Engel» (1983) über gescheiterte Existenzen am Rande, über «White Trash», wie man das Prekariat in den USA nennt. Umfangmässig ragt später sein grosses Vietnam-Epos aus dem relativ schmalen Gesamtwerk heraus: der 878 Druckseiten umfassende Roman «Ein gerader Rauch» (2007), ein Buch über Menschen, die an Geist und Leib versehrt sind.
Die Frage nach der Wahrheit bleibt zentral
Die Reise der Gefährten in «Die lachenden Ungeheuer» geht von Afrikas Westen ostwärts, um im Kongo zu landen. Es ist – die Anspielungen auf Joseph Conrads berühmte Afrika-Erzählung sind deutlich – eine Reise ins Herz der Finsternis. Die Welt ist schwarz in diesem Endspiel, wo sich die Figuren fragen: Was ist wahr und wirklich, was Lüge und Erfindung, was Täuschung, wer ist Freund, wer Feind? Wer weiss, ob sie Erlösung finden von allem Übel?
Auch hier, in seinem letzten Roman, weiss Johnson, wovon er erzählt. In den 1990er-Jahren war er wiederholt als Reporter für US-Magazine in afrikanischen Krisengebieten unterwegs. Sein letzter Roman ist wieder ein typischer Johnson geworden. Ein starkes Buch.
Buch
Denis Johnson
«Die lachenden Ungeheuer»
Roman
267 Seiten
(Rowohlt 2017).