Dénes Várjon - «Ich wollte immer Zeit haben, um über die Musik nachzudenken»
Dénes Várjon gewann 1991 den Concours Géza Anda in Zürich. Kaum ein anderer seiner Nachfolger lebt und spielt so sehr im Geist der ungarischen Klavierlegende.
Inhalt
Kulturtipp 11/2012
Christian Berzins
Das Porträt des Meisters hängt ganz hinten im Raum. Davor sein Flügel – Géza Andas Flügel. Die Ölbilder an den Wänden, die schweren Teppiche, der Geruch nach alten Büchern – wo führt diese Reise in die Vergangenheit hin? Hat er diesem Géza Anda, der hier in diesem Haus in Zürich wohnte, alles zu verdanken? Der 1968 geborene Dénes Várjon sagt: «Nein, aber sehr, sehr viel.» Der junge Pianist neben u...
Das Porträt des Meisters hängt ganz hinten im Raum. Davor sein Flügel – Géza Andas Flügel. Die Ölbilder an den Wänden, die schweren Teppiche, der Geruch nach alten Büchern – wo führt diese Reise in die Vergangenheit hin? Hat er diesem Géza Anda, der hier in diesem Haus in Zürich wohnte, alles zu verdanken? Der 1968 geborene Dénes Várjon sagt: «Nein, aber sehr, sehr viel.» Der junge Pianist neben uns, der plötzlich im Pianissimo spricht und damit unsere Aufmerksamkeit intensiv auf sich zieht – ein alter musikalischer Trick –, hat diese gedankliche Reise oft unternommen.
Dénes Várjons musikalische Karriere hätte wohl einen anderen Lauf genommen, wenn der ungarische Pianist vor 20 Jahren nicht den Concours Géza Anda gewonnen hätte. Denn danach gings unter anderem an die Salzburger Festspiele. «Ohne den Wettbewerbssieg hätte ich diese Konzerte nicht gekriegt», bemerkt er.
Steile Karriere
Für ihn stimmte alles – sein Weg zeigte himmelwärts. Doch Várjon liess sich nicht nach oben schiessen. Für ihn zählte schon damals nicht die Quantität der Angebote: «Ich musste nie 100 Konzerte pro Jahr haben. Ich wollte immer Zeit haben, um über das Leben und die Musik nachzudenken. Und es galt, das Repertoire auszubauen.» Nicht nur Solorezitals und Konzerte wollte er geben, wie es die Agenturen von jungen Genies verlangen, sondern viel Zeit mit Kammermusik verbringen.
Das Umfeld des Concours unterstützte ihn in diesem Streben. «Man sorgte sich vier Jahr lang um mich, forcierte nie etwas. Das war für mich ideal. Später war es nicht immer einfach, einen Mix zwischen Geschäft und ernster Musikausübung zu finden.» Dank des Wettbewerbs war nicht nur seine professionelle Karriere lanciert, er war auch Mitglied einer grossen Familie geworden – der Familie Anda und der ihr zugewandten Künstler.
Goldene Zeit
Im Konzertsaal hatte Várjon Meister Géza Anda nie spielen gehört. Aber bezeichnenderweise ist er ein Pianist, den die Legenden der Vergangenheit ebenso interessieren wie jene der Gegenwart. Und schon schwärmt er von der ungarischen Klavierlinie, ausgehend von Béla Bartók, hinführend zu Géza Anda oder Annie Fischer. «Das war die goldene Zeit des Klavierspiels. Ich wusste ziemlich viel über Andas Spiel. Auch sein Repertoire und sein Ruf waren sehr wichtig für mich, deswegen kam ich zum Wettbewerb: Anda war ein sehr sensibler, humanistischer Künstler. Er las viel, hatte einen weiten Kulturbegriff. Das alles steckt in diesem Wettbewerb.»
Und so fühlte sich Várjon, der Wettbewerbe eigentlich nicht mochte, beim Zürcher Concours wohl: «Die Jury sucht Pianisten, die Andas Linie entsprechen. Das ist zum Teil gegensätzlich zu dem, was der Markt von jungen Pianisten fordert.»
Die Ohren der Jury
Die Kunst beim Concours sei es, so wie immer zu spielen. Den Einwand, dass da nun mal eine Jury sitze, schwächt er ab: «Klar hören sie mit wachen Ohren zu. Aber beim Anda-Wettbewerb herrscht ein anderer Druck, da man nicht in eine Richtung gedrängt wird. Andere Wettbewerbe suchen den perfekten Pianisten. Wie kann man mit 23 Jahren perfekt sein? Aber vielleicht hat die Jury gehört, dass in mir Potenzial für die Zukunft steckt.»
In Zürich kam Dénes Várjon der verstorbenen Legende immer näher. «Spiele ich hier in der Stadt, wohne ich immer bei Frau Anda. Ich bin mit ihr eng befreundet. Hier kann ich alle Aufnahmen von Géza Anda hören, sehen, wo und wie er gelebt hat, was um ihn herum war. Es kommt mir so vor, als hätte ich ihn getroffen, so gut kenne ich ihn.»
[CD]
Hommage à Géza Anda
(Pan Classics 2001).
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[CD]
Schumann
Violinsonaten
Mit Carolin Widmann
(ECM 2009).
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[CD]
Heinz Holliger &
Clara Schumann
Romancendres
(ECM 2009).
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