Sie züngeln und grochsen, johlen und tänzeln mit nacktem Oberkörper über die Bühne im Wettinger Kloster-Innenhof: Die sechs wilden Gestalten, die sogenannten Fecker, in Thomas Hürlimanns Stück folgen mit sichtbarer Spielfreude Volker Hesses Regieanweisung: «Seid eine obszöne Bande!» Begleitet werden sie meist von Sargtöneli, einem düsteren Gesellen, der soeben das Vogel-Lisi, welche die Geburt ihres Kindes nicht überlebt, zu sich geholt hat.
Klosterareal ausloten
Für seine Inszenierung lotet Hesse, der zweimal das Welttheater in Einsiedeln inszeniert hat, das ganze Klosterareal aus. «Obwohl seit 1842 keine Mönche mehr hier sind, ist die Atmosphäre
von jahrhundertelangen klösterlichen Prozessen noch enorm greifbar», sagt er. Die Zuschauer erwartet vor der eigentlichen Aufführung ein einstündiger Rundgang durch das Aargauer Kloster, das zu Napoleons Zeiten 1798 tatsächlich französischen Truppen als Hauptquartier gedient hat.
«Der Abend beginnt mit Bildern, Installationen und Klangräumen zum Thema Krieg», beschreibt Hesse den ersten, düstereren Teil seines Projekts. Bühnenbildnerin Marina Hellmann lässt beim Probenbesuch einen Blick in die gewölbten Kreuzgänge werfen, wo früher das Lazarett für Kriegsverletzte stationiert war. Auf Bahren liegen hier einbandagierte Puppen, blutdurchtränkt. Ein Anblick, der nur schon im Entstehungsprozess ein beklemmendes Gefühl auslöst. «Hier haben sich Menschen zu Tode geschrien», sagt Hesse. «Auf unserem Rundgang versuchen wir, mit einer Fülle von Bildern zu zeigen, was Krieg alles sein kann. Ich möchte sensibilisieren, die Menschen wahrnehmungsfähiger machen.» Der zweite Teil im bestuhlten Innenhof führt zurück zu Thomas Hürlimanns Komödie «De Franzos im Ybrig» (Inhalt, s. Box rechts), wo sich befreiendes Lachen einstellen kann – obwohl auch in Hürlimanns vielschichtigem Schwank immer der Krieg als Drohung im Hintergrund bleibt.
Nebst wenigen Profis (u.a. Gilles Tschudi als Napoleons Schlachtenmaler), arbeitet der Regisseur wie bereits beim Einsiedler Welttheater mit Laienschauspielern. Exhibitionsgewohnte Schauspieler, bei denen das Spiel oft routiniert oder zynisch werde, würden ihn bei seiner Theaterarbeit zurzeit weniger interessieren, sagt Hesse im Gespräch. «Aber aus Aargauer Frauen Mänaden zu machen, das ist für mich spannend zu erleben. Auch in den vorsichtigsten Menschen schlummern Sehnsüchte nach etwas anderem, und dieses andere versuche ich zu umkreisen.» Und so werden im Stück aus den braven Dörflerinnen wilde, sinnliche und vitale Frauen, die ihre anarchischen Seiten ausleben.
Geduldig gibt Hesse bei den Proben im Kloster-Innenhof Regieanweisungen, obwohl das Team an diesem Abend mit dem Probenplan in Verzug ist – ein Hagelschauer hat kurz zuvor die Plane heruntergerissen und die Darsteller von ihren Plätzen vertrieben. Inzwischen zeigt sich aber wieder der klare Nachthimmel. Im Hintergrund ertönt Marschmusik. Hoch oben auf einer Holzkonstruktion thronen drei Männer in Uniform – die vermeintlich «wackeren Krieger», die ihre Frauen im Dorf dem Feind überlassen und sich ins Hochgebirge verzogen haben, wo sie die politische Entwicklung gar nicht erreicht.
In Ybriger Mundart
«Thomas Hürlimanns Stück ist auch eine groteske Beschreibung der Rückwärtsgewandtheit. Es erzählt vom Reduitdenken, zeigt aber ebenso Analogien zu heute auf», betont Hesse. Erzählt wird die Burleske in schönster Ybriger Mundart. «Verbrännti Zeine!» oder «Verreckte Cheib!» rufen die Dorfbewohner, und der «Plagöri» hat ebenso seinen Auftritt wie der «Seckelhund». Es handelt sich dabei um einen Dialekt, der so nicht mehr gesprochen wird, eine «poetische Sprache», wie Hesse erklärt. Die Einsiedler im Freilichtspiel-Team sorgen dafür, dass auch klanglich alles so rüberkommt wie anno dazumal.