Im flauschigen Kinositz, den Nacken bequem auf der Rücklehne gelagert, taucht der Zuschauer ein in eine Theaterwelt auf drei Ebenen: Zuunterst auf der schwarzen Bühne befindet sich eine gemütliche Wirtsstube mit kleinen runden Holztischen und einem Ofen in der Ecke. Eine Ebene weiter oben findet das mönchische Klosterleben statt – und über allem thront die Heilige Madonna und strickt Schals für ihre Mönche.
Ein Frauenheld bittet um Aufnahme im Kloster
Auf dieser Sündenpyramide im alten Kino Etzel in Einsiedeln spielt das Stück «De Casanova im Chloster» von Thomas Hürlimann. Der Zuger Schriftsteller wurde unter anderem mit den Büchern «Der grosse Kater», «Das Gartenhaus» und «Fräulein Stark» bekannt. Für die Einsiedler Theatergruppe Chärnehus schreibt er bereits das dritte Stück.
Inspiriert haben ihn die Memoiren des Giacomo Casanova aus dem späten 18. Jahrhundert. Darin schildert der berühmte Liebhaber, wie er als alternder Mann auf der Rückreise von Deutschland nach Venedig in Zürich halt macht und plötzlich den Entschluss fasst, seinen Lebensabend als Mönch im Kloster zu verbringen. Gesagt, getan – er stellt sich in Begleitung seines treuen Dieners Staller beim Abt im Kloster Einsiedeln vor und bittet um Aufnahme. Seine Absicht kommt aus tiefstem Herzen: Er möchte noch einmal alles ändern, seine Rolle als Frauenheld und reisender Tunichtgut abstreifen, sich wandeln und in der klösterlichen Kontemplation ein Anderer werden. Wenn da bloss nicht die schöne Sophie wäre . . . Soweit die autobiografische Grundlage.
Hürlimann hat die gesamte Szenerie nach Einsiedeln versetzt und daraus ein kurzweiliges Spiel mit vielen Facetten kredenzt – eine tiefsinnige Komödie mit «herbstlichem Unterton», wie er selbst darüber sagt. Darin liegt die Tragik des Stücks: Für wahre Veränderung ist es zu spät. «Casanova bleibt gefangen in seiner Rolle, es gibt keinen neuen Entwurf des Lebens», erklärt die Regisseurin Barbara Schlumpf und ergänzt: «Aber das Stück hat trotzdem einen heiteren Grundton.»
Die schöne Sophie sorgt für Trubel
Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf: Casanova muss noch eine Nacht ausserhalb der Klostermauern schlafen, damit die Mönche am nächsten Tag mit klarem Kopf über seine Aufnahme entscheiden können. Schon will er sich mit Staller das Lager unterm Sternenhimmel bereiten, als plötzlich ein langer blonder Zopf rapunzelgleich aus dem Turmzimmer im Gasthof Pfauen baumelt. Staller erblickt die schöne Sophie und verliebt sich in sie. So ergattern die beiden kurzerhand doch noch ein Zimmer für die Nacht.
Und sie schliessen eine Wette ab: Wenn Casanova es schafft, die Nacht ohne Frau zu verbringen, bekommt er 100 Taler von Staller und andersherum. Doch Sophie geht Casanova nicht mehr aus dem Kopf. Und er sinnt über eine Möglichkeit, das Geld zu beschaffen, denn das Risiko, die Wette zu verlieren, scheint ihm plötzlich hoch. Er organisiert also einen Maskenball mit Losverkauf und bringt die 100 Taler zusammen.
Liebessuppe gegen die Langeweile
Im Pfauen brauen die Frauen währenddessen eine Liebessuppe, welche die Männer anfeuern und ihre Langeweile vertreiben soll. Das funktioniert. Und im darauffolgenden Taumel bemerkt niemand, dass Casanova mit dem ganzen Suppentopf nach oben in Sophies Kammer steigt. Er hat die Wette verloren und bleibt der alte Verführer. Eine Wandlung macht hingegen die Wirtin aus dem Pfauen durch – sie steigt aus ihrer Rolle aus und wird zur Erzählerin. Dreimal setzt sie an, bis sie sich an den Schluss der Geschichte erinnert: Die Mönche sind beleidigt, Casanova hat nach einer Nacht kein Interesse mehr an Sophie, dafür geht Staller mit ihr eine unglückliche Ehe ein, und Casanova reist zurück nach Venedig.
Mit 21 Figuren, vielen Ebenen und Verstrickungen ist das Stück trotz einheitlicher Dramaturgie von Zeit, Ort und Handlung sehr komplex. Barbara Schlumpf vergleicht es mit dem fein gewebten Spitzentuch einer Tracht: «Es hat viele Muster und Wege und dabei eine einzige Funktion.» Die meisten Szenen sind kurz, die Monologe knapp. Umso pompöser die Perücken, Masken und Kostüme, die von Anna Maria Glaudemans zusammengestellt wurden. Die stimmungsvollen Lieder hat der Schweizer Musiker Daniel Fueter extra für das Stück komponiert.
Der ganze Raum sprüht vor Kreativität und Fantasie. Auch daran merkt man die enge Zusammenarbeit zwischen dem Autor und der Regisseurin. Barbara Schlumpf ist dankbar dafür: «Es ist ein Riesenglück, wenn der Autor so sehr involviert ist. Und Thomas Hürlimann ist ein absoluter Theatermensch!»
Dem Herbst des Lebens ins Auge blicken
Für Barbara Schlumpf liegt Aktualität in dem historischen Stoff: «Ich glaube, die Verzweiflung darüber, dass man manche Dinge nicht mehr rückgängig machen kann, ist eine aktuelle Befindlichkeit. Es gibt dieses Grundgefühl, dass auch wir und die Welt dem Herbst ins Auge blicken.»
Darüber hinweg kann nur die Liebe trösten. Und so kommt sie im Stück in allen ihren Ausprägungen vor. Ihre höchste Form wird deutlich in der Hingabe des Komponisten an seine Musik: Am Schluss tritt noch einmal der tote Kloster-Organist auf, dessen einziger Wunsch es war, seine «Missa amoris» aufzuführen. Erst als er die geliebte Musik hört, kann er sich beruhigt zum Sterben niederlegen. Es gibt für ihn im Leben nichts Höheres mehr. Denn das Ende der Liebe ist auch das Ende der Welt.
De Casanova im Chloster
Premiere: Sa, 21.11., 20.00 (um 16.15 Werkstattgespräch mit Thomas Hürlimann)
Kino Etzel Einsiedeln SZ
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