Einer der bekanntesten Tibet-Comics wäre fast nicht entstanden. Zürich spielt dabei eine Rolle: Der berühmte belgische Comic-Künstler Hergé arbeitete 1959 an seinem 20. «Tim und Struppi»-Band, der in Tibet spielen sollte. Aber, so Hergé: «Zu dieser Zeit machte ich eine schwere Krise durch und hatte ständig völlig in Weiss getauchte Träume.» Hergé suchte professionelle Hilfe in Zürich, um seine Depressionen und die Kreativitätskrise loszuwerden. Der Psychotherapeut empfahl dem Künstler, sofort mit der Arbeit am Comic aufzuhören. Doch Hergé schlug den therapeutischen Rat in den Wind. Als «eine Form von Selbstexorzismus» stürzte er sich wieder in die Arbeit.
Ausgiebige Recherche
Für «Tim in Tibet» (1960) recherchierte Hergé ausgiebig, etwa zum Mythos des Yeti. Der legendäre Schneemensch wird bei ihm zum menschenfreundlichen Wesen. Tim ist mit Yaks unterwegs und begegnet gastfreundlichen tibetischen Mönchen.
«Tim in Tibet» ist eines von unzähligen Beispielen, wie der Comic sich mit Tibet beschäftigt. Das Land erscheint als Ort des Friedens, aber auch als Versteck für Bösewichte. Donald Duck und Micky Maus verschlug es schon nach dem sagenumwobenen Shangri-La. In der westlichen Wahrnehmung erscheint Tibet als fantastisch und exotisch. Da sind Klischees schnell zur Stelle, wenn ein Land auf wenige typische Motive reduziert wird. Aber auch anderes ist möglich. Es gibt Comic-Biografien zu Yogi Milarepa und zum Dalai Lama oder einheimische Sachcomics für tibetische Kinder.
Andere Tibet-Comics sind auch dem 1950 geborenen Westschweizer Cosey (Bernard Cosendai) zu verdanken. Er lässt seine Alter-Ego-Figur Jonathan seit 1975 oft nach Tibet reisen. In bisher 15 Alben hat Cosey sein «gezeichnetes Roadmovie» gestaltet.
Spiel mit Klischees
Im Unterschied zu Hergé, der aus zweiter Hand recherchierte, sind Coseys Comic-Bilder das Produkt von Skizzenblock und Fotoapparat. Der Schweizer hält sich regelmässig vor Ort auf. So entstehen realistisch-treue Schauplätze, in denen sich fiktive Geschichten erzählen lassen. In «Jonathan» wird Tibet zu einer eigentlichen «Seelenlandschaft»: Der Handlungsort widerspiegelt auch einen Zustand der Seele.
Ist Tibet ein Sonderfall in der Comic-Welt? Laut Cuno Affolter vom Comic-Zentrum der Stadt Lausanne bietet Tibet «eine unglaubliche Projektionsfläche, so wie es viele andere gibt: Die Wüste, die einsame Insel, das Meer, der Dschungel» . Was die Klischierung betrifft: «Es braucht halt ‹Postkartenbilder› im Comic. So funktioniert der Comic-Code: Man muss eine Situation in einem Bild schnell erfassen. So wie man einen Schauplatz gleich erkennbar macht – in London ist es der Big Ben, in der Schweiz das Matterhorn. Für Tibet sind es Yeti, Mönche, Buddhas oder die unvergleichliche Architektur des Potala-Palastes in Lhasa.» Natürlich spiele der Comic auch mit den Klischees. «Etwa dort, wo er Humor herstellt, wenn ein schwebender erleuchteter Mönch witzige Weisheiten formuliert.»
Subtile Böse
«Tibeter sind nett», sagt Comic-Experte Affolter, «selbst die Bösen erweisen sich in ihrem Böse-Sein nicht als brutal, sondern als subtil.» Grundsätzlich: «Die Tibeter kommen in den Comics recht gut weg.»
Die Ausstellung «Yaks, Yetis, Yogis» hat der Berner Ethnologe Martin Brauen für das Rubin Museum of Art in New York konzipiert. In Zürich wird die Ausstellung von Filmen, Vorträgen und Workshops begleitet und ist exklusiv ergänzt durch Materialien zur Comic-Kunst des Schweizers Cosey.
Yaks, Yetis, Yogis – Tibet im Comic
Museum Rietberg Zürich
So, 14.7.–So, 10.11.
www.rietberg.ch
Vortrag
Martin Brauen: Traumwelt Tibet – Die vielfältigen Bilder Tibets im Comic
So, 1.9., 11.00
Gespräch
Cuno Affolter im Gespräch mit Comic-Zeichner Cosey
Sa, 7.9., 19.00–02.00
(im Rahmen der «Langen Nacht der Museen»)
Führungen
Jeweils Sa, 14.00