Der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger war ein Langweiler, spröde, menschlich korrekt und immer geradlinig. Aber er war auch ein Held. Paul Grüninger rettete bis 1939 mehreren Hundert jüdischen Flüchtlingen das Leben. Das Schweizer Fernsehen hat diese Geschichte unter dem Titel «Akte Grüninger» mit den C-Films koproduziert. Der Spielfilm von Regisseur Alain Gsponer ist prominent besetzt mit Schauspielern wie Stefan Kurt, Helmut Förnbacher, Max Simonischek oder Anatole Taubman. Vor der TV-Ausstrahlung ist der Film nun im Kino zu sehen.
Gegen die Regierung
Die Geschichte erzählt von den Zuständen an den Schweizer Grenzen in der Zeit, als Bern die Übergänge nach dem August 1938 für jüdische Flüchtlinge geschlossen hatte: Sie riskierten ihr Leben, um die Schweiz zu erreichen. Doch einmal hier, hatte ihre Not kein Ende. Denn die Behörden verlangten gültige Reisedokumente – fehlten diese, wurden die Juden zurück nach Deutschland und meist in den Tod geschickt.
Paul Grüninger (Stefan Kurt) scheute sich nicht, die behördlichen Weisungen zu umgehen. So liess er etwa Pässe zurückdatieren, um einen Aufenthalt nachträglich zu legitimieren. Oder er half, den Gestrandeten Unterkünfte zu suchen, und organisierte eine halbwegs menschenwürdige Betreuung.
Der sozialdemokratische Regierungsrat Valentin Keel (Helmut Förnbacher) deckte Paul Grüninger – zumindest eine Weile. Denn der Polizeihauptmann stand unter Beobachtung der Bundesbehörden; diese ahnten, dass die Ostgrenze des Landes nicht so dicht war, wie sie es aus ihrer Sicht hätte sein sollen.
Hier bringt der Drehbuchautor Bernd Lange eine fiktive Figur ins Spiel: Heinrich Rothmund, der umstrittene Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei, beordert den Ermittler Robert Frei (Max Simonischek) nach St. Gallen. Er soll herausfinden, welche Unterstützung die jüdischen Flüchtlinge erfahren, um einen Weg in die Schweiz zu finden. Das Drehbuch baut diesen «Robert Frei» zum Gegenspieler von Paul Grüninger auf; er wurde aus drei historisch belegten Persönlichkeiten zusammengefügt.
Der Beamte Frei
Und weil der etwas biedere Grüninger als Filmfigur dramaturgisch wenig hergibt, ist die Rolle des Robert Frei umso spannender – und entwicklungsfähiger. Max Simonischek spielt als Frei einen Berner Bundesbeamten, der in seinen Zwängen feststeckt – und der dennoch ein unangenehmes Quäntchen Gewissen in seinem Herzen nicht zum Schweigen bringt.
Schauspieler Stefan Kurt dagegen gibt einen Grüninger als einen Polizisten aus dem Bilderbuch. Er geht stur seinen Weg. Wenn er einmal zu einer Überzeugung gekommen ist, lässt er sich nicht beirren, auch wenn er damit gegen Bestimmungen seiner Vorgesetzten verstösst. Stefan Kurt wollte dem historisch verbürgten Charakter so nahe wie möglich kommen: «Ich spiele Grüninger so eindimensional, wie er war.»
Kleines Budget
Regisseur Alain Gsponer hatte ein Budget von etwas mehr als 3 Millionen Franken. Daher musste er sich auf ein Kammerspiel beschränken. Aussenaufnahmen sind selten, die meisten Szenen spielen in Räumlichkeiten. Die Filmcrew besuchte zwar zahlreiche Drehorte im Grenzgebiet der Schweiz und Österreich von Diepoldsau bis Hohenems. Aber dem Film ist anzumerken, wie knapp das Budget war.
Die «Akte Grüninger» ist dennoch gutes Kino. Das liegt vor allem an einem überzeugenden Drehbuch, die Geschichte ist stark, entwickelt sich stringent und plausibel. Die Dialoge sind geradlinig, einfach verständlich und bringen die Konflikte auf den Punkt.
Stellt sich die Frage nach der geschichtlichen Authentizität. Wurden Flüchtlinge ohne gültige Papiere, die sich schon längere Zeit in der Schweiz aufgehalten hatten, tatsächlich an die Grenze zurückgestellt? Deckte die St. Galler Regierung den Polizeihauptmann wirklich so lange und liess ihn unter dem Druck aus Bern im Stich? Laut dem Historiker und Grüninger-Biografen Stefan Keller sind die historischen Fakten korrekt dargestellt. Produzentin Anne Walser sagt dazu: «Wir haben uns an die historischen Vorgaben gehalten, aber fiktive Elemente in den Film verwoben.» Dazu gehört etwa das Schicksal zweier jüdischer Kinder, die sich ihren Häschern in grösster Not entziehen können.
Auch unangenehme Wahrheiten kommen zur Sprache: Zum Beispiel die zeitweise Zurückhaltung der jüdischen Gemeinde gegenüber den Flüchtlingen – man scheute die Kosten für die mittellosen Ankömmlinge. Oder der offenkundige Antisemitismus von Politikern: So rechtfertigt ein Thurgauer Regierungsrat die Einreisesperre für Juden damit, «dass man die ja für nichts gebrauchen kann, sonst würden die Deutschen sie anders behandeln». Das war die weit verbreitete Mentalität in den späten 1930ern, als längst klar war, dass die jüdische Bevölkerung in Deutschland verfolgt wurde.
Akte Grüninger
Regie: Alain Gsponer
Ab Do, 23.1., im Kino