Heute ist er selbst in seiner Heimatstadt Nancy vergessen – der Kupferstecher Jacques Callot. Der österreichische Autor Bernd Schuchter hat den Künstler nun mit seinem Buch «Jacques Callot und die Erfindung des Individuums» neu entdeckt. Callot (1592–1635) lebte in der Zeit des Dreissigjährigen Kriegs, als die katholischen Spanier die abtrünnige, protestantische Niederlande zu bändigen versuchten. Der Lothringer Künstler stand damals in den Diensten der spanischen Krone.
Spaniens Statthalterin in der Niederlande, die Infantin Isabella-Claire-Eugénie, erteilte Callot den Auftrag, die Belagerung der Stadt Breda von 1624/25 in der Region Brabant zu dokumentieren. Im Klartext: Der tief religiöse Graveur musste die Rolle eines Propagandisten spielen, wie Schuchter über Callots Schlüsselwerk «Die Belagerung von Breda» schreibt: «Es handelt sich (bei dieser Darstellung) um Propaganda und zugleich um ein nützliches Werkzeug für künftige Kriege.» Denn Callot vermittelte auch einen Einblick in die militärische Strategie der Spanier gegen die bockigen Holländer.
Menschliche Dramen im Bild vereint
Aber Callots Werke waren mehr als plumpe Werbung, wie der Buchautor auf seiner Spurensuche erkannte. Der Künstler baute die menschlichen Dramen des Krieges in seine Bilder ein: «Selten wurde die Unüberschaubarkeit des Krieges, die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz in seiner Kleinheit, in seiner Bedeutungslosigkeit mit einer so grossen Geste dargestellt.»
Chronist mit grosser Detailversessenheit
Die Szene im Vordergrund von «Die Belagerung von Breda» erscheint zwar idyllisch, aber im Hintergrund sind die Schrecken des Gefechts unübersehbar. Ein Schütze zielt auf Flüchtende, eine Frau fleht vergeblich um Schonung für ihren Mann. An einem Galgen baumelt ein Elender: «Daneben Bettler und Invalide und ein grosses Fass, aus dem die Trinker mit Wein versorgt werden.» Denn nüchtern hätte keiner das Grauen ausgehalten. Callot gab dem Krieg damit das Antlitz des Individuellen. Das Schicksal der Menschen in seiner Gesamtheit berührt den Betrachter wenig, erst in der Detailversessenheit des Chronisten erkennt man die Dramen jedes Einzelnen.
Jacques Callot kam im Frühsommer 1592 in Nancy zur Welt und machte eine Lehre als Goldschmied. Als Jugendlicher reiste er nach Rom, um die Reproduktionsstecherei zu erlernen; in Florenz machte er sich bald einen Namen als Radierer. Hier verbrachte Callot seine glücklichsten Jahre, er wurde zum Liebling der lokalen, frühkapitalistischen Elite, genoss die Gunst von Cosimo II. de’ Medici. Callot sollte später nicht mehr nach Italien zurückkehren, obgleich hier sein Sehnsuchtsland lag.
In Nancy heiratete er, gründete eine eigene Werkstatt und entwickelte neue Graviertechniken. Callot war ein gefragter Mann, nur so ist verständlich, dass er die Aufmerksamkeit der spanischen Infantin auf sich zog. Er war mehr als ein begabter Künstler, er war auch ein schlauer Geschäftsmann, der erfasste, dass sich ein Kunstmarkt entwickelt hatte.
So liess er in Antwerpen mehr als 1800 Exemplare seiner «Belagerung von Breda» drucken. Diese konnte er spielend verkaufen, immerhin fertigte er sie im Auftrag einer damals wichtigen politischen Figur an – ein Verkaufsargument damals wie heute. «Diese Druckwerke waren eine bedeutende Einnahmequelle sowohl für Callot selbst als auch für die Drucker, Verleger und die vielen Zwischenhändler auf dem Markt», schreibt Schuchter.
Kunsthistoriker sehen Callots Werk im Zusammenhang mit dem Monumentalgemälde «Die Übergabe von Breda» von Diego Velazquez. Dieses erscheint dem Betrachter als offenkundigere Propagandamalerei. Es zeigt den niederländischen Heerführer Justinus von Nassau, der seinem spanischen Pendant Ambrosio Spinola die Stadtschlüssel überreicht. Der Sieger fasst den Besiegten aufmunternd an der Schulter. Die Geste sollte die Grosszügigkeit der siegreichen Herrscher belegen. Denn die imperialen Ansprüche der Spanier waren damals nach Rückschlägen in den Kolonialkriegen sowie politischer Misswirtschaft im eigenen Land angeschlagen.
Die andere Dimension des Krieges
Eine Generation später wartete mit dem Ende der Armada durch die Engländer der entscheidende Tiefpunkt auf die Spanier. Im Gegensatz zu Callot setzt Velazques jedoch in seiner Darstellung nicht auf das Leiden des Einzelnen, bei ihm dominiert die propagandistische Botschaft.
Bernd Schuchter erinnert mit diesem Buch an einen Künstler, der neue Beachtung verdient. Diese Würdigung vereint eine kunsthistorische, eine humanistische und vor allem eine politische Dimension in sich - sehr lesenswert.
Buch
Bernd Schuchter
«Jacques Callot und die Erfindung des Individuums»
160 Seiten
(Braumüller 2016).