kulturtipp: Kürzlich sendeten SRF 1 und SRF 2 Kultur gemeinsam die Hörspielnacht «Kuss & Biss». Wie war die Resonanz?
Anina Barandun: Wir haben live aus dem Studio 1 in Zürich gesendet. Das Saalpublikum war begeistert, was auch auf dem Sender gut zu spüren war.
Wie waren die Hörerzahlen?
Beim Radio haben wir keine Quoten, die am nächsten Tag bereitliegen. Wir beobachten die allgemeinen Tendenzen.
Rund 600 000 Leute hören wöchentlich die Hörspiele auf SRF 1 und SRF 2 Kultur. Das sind weniger als auch schon …
Es gibt eine neue Messmethode, die den detaillierten Vergleich mit den Vorjahren schwierig macht. Unter dem Strich aber bleiben unsere Zahlen stabil.
Lohnt es sich, für dieses Stammpublikum 25 neue Hörspiele jährlich zu produzieren?
Ich finde diese Hörerzahl grossartig. Rechnen Sie das mal in Theatervorstellungen um!
Aber der Aufwand ist enorm!
Für 600 000 Leute ist dieser Aufwand durchaus angemessen.
Gehört das Hörspielpublikum nicht zu einer aussterbenden Gattung?
Je länger, je weniger. Das Durchschnittsalter liegt sogar tiefer als beim sonstigen Radiopublikum.
Wie erklären Sie sich das?
Unter anderem damit, dass wir von jeher das Kinderhörspiel pflegen. Eine wichtige Rolle spielen auch die neuen Medien, die es ermöglichen, Sendungen individuell nachzuhören.
Als Podcasts?
Zum Beispiel. Bei Zugfahrten oder bei der Gartenarbeit. Gerade im ÖV hat doch jeder Zweite Kopfhörer auf den Ohren.
Heisst das, Radiosendungen in ihrer ursprünglichen Form braucht es bald nicht mehr?
Radio wird weiterhin eine Grundversorgung liefern. Für Spezialinteressen aber spielt das Internet eine zunehmend wichtige Rolle. Oder Social Media. Oder Apps.
Radiohören via App?
An einer Fachtagung habe ich kürzlich eine App gesehen, mit der individuell Kurzhörspiele abonniert werden können. Das ist irritierend und faszinierend zugleich.
Und bedeutet das Aus für die alten Hörspiele. Die Archiv-Perlen sonntags auf SRF Musikwelle haben Sie bereits aus dem Programm gekippt.
Dies hat vor allem damit zu tun, dass wir Mittel für andere Aufgaben brauchen. Und die Hörspielklassiker verschwinden ja nicht. Wir machen sie im Internet zugänglich. Als erstes «Ueli der Knecht» von Jeremias Gotthelf, alle zehn Folgen auf einmal.
Das SRF-Musikwelle-Publikum wird aber kaum im Internet nach Gotthelf-Hörspielen suchen!
Gerade das Musikwellen-Publikum ist sehr aktiv im Netz und wird mit dem Alternativangebot umzugehen wissen.
Ist die Streichung dieses bei der Hörerschaft beliebten Termins nicht auch eine verkappte Sparübung?
Nein, es geht um eine Verlagerung der Mittel.
Wohin?
Sie bleiben in der Abteilung Kultur.
Aber nicht konkret beim Hörspiel?
Wir haben den Auftrag, neue Formate zu entwickeln und werden froh sein um dieses Geld.
Warum haben Sie das «Schreckmümpfeli» nicht gekippt, das seit sagenhaften 38 Jahren wöchentlich über den Sender geht?
Nichts gegen das «Schreckmümpfeli»! Das wird vom Publikum heiss geliebt. Und für uns ist es eine höchst attraktive Experimentierform für junge Autoren und Regisseurinnen.
Im Moment bleiben vier reguläre Hörspiel-Termine pro Woche. Reicht Ihnen das?
Ja. Mehr würden wir gar nicht schaffen. Unsere Redaktion betreut auch viele Kleinformate wie die «Morgengeschichte» und verschiedene Satiresendungen. Zudem hat der Online-Aufwand massiv zugenommen.
Das wohl erfolgreichste SRF-Hörspiel ist «Philipp Maloney». Fuchst es Sie nicht, dass es auf SRF 3 läuft?
Nein, warum auch? Ich freue mich über jedes Hörspiel, das Erfolg hat. Zudem gehört «Maloney» zur Redaktion «Hörspiel und Satire».
Inwiefern passen eigentlich Hörspiel und Satire zusammen?
Sehr gut. Nicht nur inhaltlich. Auch die Produktionsabläufe sind bei Hörspielen und Satiresendungen oft ähnlich. Ich selber habe übrigens als Satire-Redaktorin begonnen.
Dann wissen Sie bestimmt, wie viel Satire das SRF-Publikum erträgt?
Wir bekommen viele Reaktionen, auch Reklamationen. Meistens sind es allgemeine, oft unqualifizierte Tiraden. Satire darf nerven, das gehört zu ihrer Aufgabe. Wenn sich aber jemand nicht nur beleidigt, sondern persönlich verletzt fühlt, müssen wir uns auch mal entschuldigen.
Und wie viel Satire ertragen Ihre Kollegen und Chefs?
Die Meinungen darüber, was lustig ist, gehen weit auseinander. Schlimm ist nur, wenn gar niemand lacht. Das kommt selten vor. Lustig sein ist übrigens sehr, sehr schwierig.
Ihre Redaktion ist 2011 aus den Hörspielabteilungen von DRS 1 und DRS 2 zusammengewachsen. Da prallten doch zwei Kulturen aufeinander?
Natürlich müssen wir uns annähern, aber wir lernen uns immer besser kennen und schätzen. Wichtig ist, dass am Schluss Qualität resultiert.
Bis heute arbeitet ein Teil der Redaktion in Zürich, der andere in Basel.
Das ist bestimmt nicht optimal. Klar sind wir per Telefon und Mail verbunden. Die persönlichen Kontakte aber kommen zu kurz. Ich denke, das wird sich ändern müssen.
Was steht an?
Noch nichts Konkretes. Das hängt mit der Diskussion um einen neuen Standort für SRF Kultur zusammen.
Früher wurden die DRS-1-Hörspiele in Zürich produziert, jene für DRS 2 in Basel. Gibt es hier eine örtliche Konzentration?
Nein. Die beiden Studios sind unterschiedlich eingerichtet. Heute produzieren wir die Hörspiele je nach technischen Anforderungen in Basel oder in Zürich.
Es gab in letzter Zeit Koproduktionen mit ausländischen Sendern wie SWR 2. Lässt sich damit Geld sparen?
Ja, aber nicht nur. Weit wichtiger ist es, mit anderen Autoren und Regisseuren zusammenzuarbeiten, andere Handschriften und andere Klänge ins Programm zu bringen. Umgekehrt positionieren wir uns im Ausland.
Wohin wird sich das SRF-Hörspiel formal entwickeln?
Wir müssen die bestehenden Programmplätze weiterhin gut und attraktiv bespielen. Daneben sind neue Formen und Formate zu entwickeln. Das Internet wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Im Gegenzug soll Einzigartiges stattfinden wie die Hörspielnacht kürzlich als packendes Live-Erlebnis.
Haben Sie Visionen?
Inhaltlich wünsche ich mir, dass sich die Fiktion noch mehr in aktuelle Debatten einmischt. Im Onlinebereich würde mich das Arbeiten mit optischen Elementen reizen wie Comic, bildender Kunst oder Film.
Hörspiele zum Anschauen?
Ich bin süchtig nach Geschichten. Eine Leidenschaft, die ich mit unserem Publikum teilen möchte. Und da interessieren mich verschiedene Techniken des Erzählens.
Anina Barandun
Anina Barandun (47) promovierte in deutscher und italienischer Literatur in Bern. Sie war Verlagslektorin, Dramaturgin und wissenschaftliche Assistentin, bevor sie 2005 zur Satire-Redaktion von Schweizer Radio stiess. Dort war sie spezialisiert auf die Kleinkunstszene und produzierte zahlreiche Live-Sendungen. Anfang 2013 übernahm sie von Fritz Zaugg die Leitung der kurz zuvor fusionierten Redaktion Hörspiel und Satire von SRF 1 und SRF 2 Kultur. (fn)