«Das Glas Wasser» Politik, Intrigen und Demaskierung
Im Bankettsaal des Hotel Bellevue lädt das Stadttheater Bern zum englischen Königsempfang: Das Schauspielensemble spielt die Vaudeville-Komödie «Das Glas Wasser» aus dem Jahr 1845. .
Inhalt
Kulturtipp 26/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
Als Glücksfall bezeichnet Regisseur Max Merker den Aufführungsort gleich neben dem Bundeshaus. «Es ist ein politisch aufgeladener Ort, hier finden Staatsempfänge und Geheimabsprachen vor den Wahlen statt, hier werden Intrigen gesponnen.» Und Intrigen gibt es denn auch im Stück «Das Glas Wasser» zur Genüge: Eugène Scribe (1791–1861) leuchtet darin die Machenschaften des englischen Königshauses aus, das Anfang des 18. Jahrhunder...
Als Glücksfall bezeichnet Regisseur Max Merker den Aufführungsort gleich neben dem Bundeshaus. «Es ist ein politisch aufgeladener Ort, hier finden Staatsempfänge und Geheimabsprachen vor den Wahlen statt, hier werden Intrigen gesponnen.» Und Intrigen gibt es denn auch im Stück «Das Glas Wasser» zur Genüge: Eugène Scribe (1791–1861) leuchtet darin die Machenschaften des englischen Königshauses aus, das Anfang des 18. Jahrhunderts mit Frankreich im Krieg liegt. Es sind vor allem die Interessen von Einzelnen, welche die Kriegsgeschehnisse vorantreiben – so wie das sprichwörtliche Glas Wasser, das zum Politikum werden kann. Die schwache englische Königin steht unter der Fuchtel der Herzogin von Marlborough, die ihren Ehemann an der Front halten will, um den jungen, naiven Leutnant Masham zu erobern. Dieser ist zwar bereits an die junge Abigail vergeben, hat aber noch eine andere Verehrerin: Die Königin höchstselbst. Die amourösen Verwicklungen macht sich der Viscount von Bolingbroke zunutze. «Oh Schicksal Englands, du liegst zwischen Laken und Plumeau!», stellt dieser fest und gibt dem Geschehen durch seine Intrigen einen unerwarteten Verlauf …
Bei einem Probeneinblick in Bern befinden sich die Herzogin und Bolingbroke just in einem scharfzüngigen Schlagabtausch. «Es täte mir leid, Sie nach unten zu befördern, denn wen habe ich dann oben noch, mit dem ich mich messen könnte?», fragt die Herzogin und lehnt sich lasziv zurück. Intrigenmeister Bolingbroke ist um keine Antwort verlegen und setzt zum vernichtenden Schlag an – schliesslich ist die kaltblütige Herzogin auch nur ein Mensch und durch ihre Liebe zum Leutnant verwundbar. Sabine Martin und Ingo Ospelt haben als Herzogin und Viscount, die sich im ständigen Wechsel zwischen Flirt und gegenseitigem Machtentzug befinden, sichtlichen Spass am Spiel. Regisseur Max Merker möchte das königliche Kammerspiel denn auch nicht realistisch-psychologisch inszenieren, wie er betont: «Wir lassen den Figuren den Freiraum, ins Groteske zu kippen.» Dramaturgin Karla Mäder ergänzt: «Die fünf Protagonisten sind klischeehafte, aber sehr lebendige Charaktere, die sich im steten Konflikt befinden. Die Machtverhältnisse ändern sich ständig.»
Mit Parallelen zu heute
Verstaubt ist das Lustspiel von 1845 keineswegs, lassen sich doch mühelos Parallelen zu heutigen politischen Verhältnissen ziehen. «Es geht um Politik, Intrigen und die Demaskierung derer, die lediglich für den Frieden sind, um selbst an die Macht zu kommen», sagt Merker. «Jeder handelt aus Kalkül.» Der Verlust von Unschuld lässt sich etwa an der jungen Abigail verfolgen, die schnell lernt, wie sich am einfachsten Karriere machen lässt – auch wenn man dabei die eigenen Überzeugungen verrät.
Mit dem luxuriösen Salon Royal, einem Bankettsaal des Hotel Bellevue, hat das Schauspielensemble die geeignete Kulisse gefunden. Hier hat etwa vor kurzem der spanische König Juan Carlos diniert – nach diesem Muster gestaltet Merker den Auftritt der englischen Königin, die mit der hoteleigenen Limousine vorfährt und anschliessend über den in der Mitte des Salons platzierten Catwalk stolziert. Seitlich sitzt in zwei Reihen das Publikum und ist sozusagen exklusiv und hautnah dabei beim königlichen Staatsempfang.