Die kleinbürgerlich biederen Eltern und der rebellische Sohn: Das ist nichts Neues. Der 62-jährige St. Galler Regisseur Peter Liechti («Signers Koffer») macht das bekannte Thema in seinem neuen Dokumentarfilm zur eigenen Sache. Er zeigt die Wiederannäherung nach langer Entfremdung, reflektiert seine Rolle in der Familie und porträtiert seine Eltern zwar liebevoll, aber auch schonungslos ehrlich. Das ist nicht immer schmeichelhaft, weder für die Eltern noch für den filmenden Sohn.
Da ist der Vater in seinem Garten, den er hegt und pflegt. «Ich bin nicht pingelig, ich habe einfach gerne Ordnung», sagt der alte Max Liechti. Der pensionierte Suva-Beamte verweigert sich dem Modernen, er tippt beispielsweise immer noch auf einer alten Schreibmaschine.
Fehlende Harmonie
Der Vater schätzt auch einen sauber geputzten Hals (beim Coiffeur). Und er ist stolz auf das Dankesschreiben seines Arbeitgebers bei der Pensionierung. Kleine Details werden zur Grundsatzfrage. Etwa ob es gestattet ist, wegen eines Griffs an der Badewanne Löcher in die Plättliwand zu bohren; ob sich das noch lohnt «wegen der paar Jahre».
Mutter Hedy sagt es nüchtern: «Da ist nie eine Harmonie gewesen.» Sie hätten eigentlich «in fast allem entgegengesetzte Ansichten und Interessen». Ihre eigenen Träume habe sie nicht verwirklichen können und die eigenen Ansprüche stets zurückgestellt. Die Mutter hat sich immer mehr zurückgezogen in ihre Bücherwelt und in ihren Glauben. Man sieht sie im Film, wie sie für die Bundesräte betet. Beide, Hedy und Max, sind Mitglieder in einer Bibelgruppe. Hedy gesteht: «Ich bin ein depressiver Charakter.» An einem einzigen Hemd ihres Mannes bügelt sie eine volle Stunde lang. Der eitle Max will es so. «Ich hätte es auch lieber, wenn Papi T-Shirts tragen würde. Es wäre einfacher.»
Hasen-Eltern
Vater Max formuliert im Lauf der Dokumentation ausser Alltagsansichten auch Lebensweisheiten: «Der Mann ist von Natur aus nicht so feinfühlig wie die Frau.» Während sie von ihm sagt: «Ich bin mental stärker. Bei Max weiss man nicht, was er denkt.» Vielsagend ist die Antwort des Vaters auf die Frage des Sohns, wer von ihnen bestimme: «Dafür haben wir kein Reglement. Wir beraten uns gegenseitig. Und das, was mich überzeugt, das machen wir dann.»
Der Film wechselt zwischendurch von realen Bildern zu Stabpuppenszenen in einem Theater. Hier leihen Schauspieler den Figuren ihre Stimme. Aber alles Gesagte entspricht wörtlich den Gesprächen mit seinen Eltern. Sie erscheinen als Hasen, während Sohn Peter als menschliche Puppe erkennbar ist – eine reizvolle Form der Distanzierung. Für Peter Liechti ist das Porträt seiner Eltern allgemeingültig: Er zeigt Angehörige einer Generation und deren Lebensgefühl. Und er blickt in eine Welt, die bald der Vergangenheit angehört – mutig gemacht. Urs Hangartner
Zum Eltern-Film:
«Vergiss mein nicht» von David Sieveking siehe «Wieder Gesehen» Seite 16.
Buch zum Film
Peter Liechti
«Klartext. Fragen an meine Eltern»
192 Seiten
(Vexer Verlag 2013).
Film
Vaters Garten –
Die Liebe meiner Eltern
Regie: Peter Liechti
Ab Do, 26.9., im Kino
Vier Fragen an Peter Liechti
«‹Vaters Garten› war das schwierigste Projekt, das ich je gemacht habe»
kulturtipp: Sie waren der Rebell in der kleinbürgerlichen Welt Ihrer Eltern, wie sie in «Vaters Garten» dargestellt ist. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
Peter Liechti: An die Enge des kleinbürgerlichen Milieus erinnere ich mich gut. Ich bin in einer Blockwohnung aufgewachsen, wo alles verboten war. Wahnsinnig glücklich war ich nicht, ich wäre gerne freier aufgewachsen. In meiner Jugend gingen meine Vorstellungen und diejenigen der Eltern weit auseinander. Mein Vater war sehr repressiv. Ich hatte die Wahl zwischen Anpassung und Rebellion.
«Vaters Garten» ist ein sehr persönlicher Film. Was war der Auslöser, sich näher mit Ihrer Herkunft zu beschäftigen?
Jeder Mensch kommt einmal an den Punkt, an dem die Eltern wieder wichtig werden. Man stellt sich die Frage: Woher komme ich? «Vaters Garten» war in jeder Hinsicht das schwierigste Projekt, das ich je gemacht habe – sowohl aus psychologischer wie auch aus gestalterischer Sicht. Nochmals so lange ins Elternhaus zurückzukehren, wo ich seit der Jugend nur noch selten zu Besuch war, empfand ich als schwierig. Wir haben über drei Jahre in den Film investiert. Je persönlicher ein Film ist, desto universeller wird er verstanden. Wenn man versucht, etwas allgemeinverständlich zu machen, ist es Wischiwaschi. Aber die Grenze, wo es zu privat wird, ist natürlich heikel und individuell.
Um eine Distanz zum persönlichen Thema herzustellen, arbeiten Sie im Film mit Puppentheaterszenen. Fällt es so leichter, das Geschehen von aussen zu betrachten?
Eine Distanz herzustellen, war mir wichtig. Mit den Puppentheaterszenen konnte ich gewisse Aussagen auffangen und abdämpfen, denn inhaltlich ist es zum Teil sehr heftig. Meine Eltern stehen für eine ganze Generation, für eine Zeit mit einem bestimmten Denken und einer eigenen Prägung. Diese Generation verschwindet nach und nach und verliert den Anschluss an unsere Zeit. Um das kleinbürgerlich-patriarchale Denken ist es nicht schade, um andere Werte hingegen schon. Ich hoffe, der Film löst auch bei einem jüngeren Publikum Nachdenklichkeit aus.
Sehen Sie Ihre Eltern nach diesem Film anders?
Ja, durch das gemeinsame Projekt haben wir wieder Fühlung zueinander aufgenommen und uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht. Durch die Arbeit am Film habe ich gelernt, den alten Eltern zuzuhören und mich nicht darüber aufzuhalten, was früher einmal war.
Interview: Babina Cathomen