Die Frage, ob er gut gespielt habe, mag Daniil Trifonov nicht. Hat er Angst, auf die eben verhauene Eröffnungskadenz angesprochen zu werden, bei der ihm sein Übermut im Weg stand? Dabei zeigte gerade diese Stelle, wie grandios dieser junge Mann es versteht, mit grösstem Risiko in die Klavierkonzertschlachten zu ziehen. Die Richtigmacher langweilen, noch bevor sie sich an den Flügel setzen. Trifonov dagegen, der Klavier-Tiger, stürmt auf sein Instrument los, als gelte es, mit jedem Takt die Welt Stück um Stück zu erobern. Bei allem Mut erkennt man hinter jedem Ton einen Zweifel. Doch auch auf diese Bemerkung hin murmelt er in e-Moll-artiger Unentschlossenheit: «Manchmal denke ich, dass mein Spiel nicht so gut war.»
Russischer Förderer
Am 5. März 1991 ist Trifonov in Nizhny Novgorod geboren, in jener Stadt, die einst nach dem Schriftsteller Maxim Gorki benannt war und in die Atomphysiker Andrei Sacharow verbannt wurde. Doch mit Sowjetgeschichten muss man Trifonov nicht kommen. Redet er über Russland, betont er sein kosmopolitisches modernes Wesen. Ob er wegen der «russischen Familie» – Künstler, Mäzene und Sponsoren – immer wieder nach Verbier komme, will er schon gar nicht hören. «Russische Familie?», fragt er ungläubig und schweigt. Er weiss zu gut, dass man ihn nun über seinen Förderer ausfragen könnte, den Dirigenten Valery Gergiev, über jenen Herrscher der russischen Klassikwelt, der mit Vladimir Putin eng verbunden ist.
So kriegt Trifonov nach fünf Sekunden Bedenkzeit seelenruhig die Kurve: «Wissen Sie, wie die berühmte ‹russische Klavierschule› gegründet wurde? Da kamen Pianisten aus der ganzen Welt nach Moskau und St. Petersburg, so entstand eine russische Schule. Sie sehen, diese Schule hatte ihre Wurzeln in der ganzen Welt. Wir Russen fühlen uns als Teil des Ganzen.» Er liebt das Verbier Festival nicht wegen der Russen, sondern weil es ein kosmopolitisches Festival sei: «Es gibt dort keine Grenzen.»
Doch Russland – beziehungsweise dem von Putin unterstützten Musik-Zaren Valery Gergiev – verdankt Trifonov viel. Es brauchte Gergievs Wille und Putins Geld, damit der einst legendäre Tschaikowsky-Wettbewerb wieder an Schwung gewann. Für Trifonov, Tschaikowsky-Sieger 2011, kam der Glanz zur rechten Zeit. Die Gewinner dürfen an die besten westlichen Festivals der Welt, auch nach Luzern. Die Plattenfirmen spielen mit; die grossen Dirigenten und Agenturen ziehen nach. Die Deutsche Grammophon ist mittlerweile Trifonovs Exklusivpartner – die erste CD war sein New Yorker Carnegie-Hall-Debüt.
Tollkühner Beiname
Obwohl der Kosmopolit Trifonov mittlerweile in New York und Moskau lebt, liess ihn das in seinem Innern zehrende Heimweh einst in den USA die «Rachmaniana» komponieren – ein elf Minuten langes Klavierwerk, das in den Farben und den Ideen des russischen Klaviermeisters schwelgt. Keine Eintagsfliege. Im letzten Winter wurde sein erstes grosses Klavierkonzert uraufgeführt, auch dieses Werk ist verwandt mit Rachmaninow. Als er es in Cleveland zum ersten Mal mit Orchester spielte, klang fast alles so, wie er es erwartet hatte. Das nächste Werk, ein Doppelkonzert für Geige, Klavier und Kammerorchester, ist bereits entworfen.
Der Einwurf, dass er heute mit dem tollkühnen Beinamen «Rachmaninow II.» in die Säle trete, kann ihn zu einem Zupfen am Milchbärtchen verleiten. «Der Künstler muss fest an sich glauben – und dann an die Musik, seine Quelle.» Konzerte seien nicht nur stressig, sagt er. «Die Bühne kann Energie verleihen.»
Drei Konzerte mit Orchester traut er sich pro Woche zu, Solorezitals zwei. Eine ungeplante, aus einer Erschöpfung entstandene Pause musste er sich zu Beginn von 2015 dennoch zugestehen. Ab nächstem Jahr will er definitiv weniger auftreten.
Verbier Festival
Der Anlass bietet von morgens bis abends Workshops, Meisterkurse, Einführungen und Proben – Zuhörer können vieles gratis besuchen. In den Konzerten treten täglich Stars wie Yuja Wang oder Grigory Sokolov auf.
Trifonov am Verbier Festival (Fr, 22.7.–So, 7.8.)
Solorezital: So, 24.7., 19.00
Kammermusik mit Leonidas Kavakos und Gautier Capuçon:
So, 29.7., 11.00
Orchesterkonzert (Trifonovs Klavierkonzert und andere):
So, 31.7., 19.00
CDs
Rachmaninov Variations
Daniil Trifonov, Yannick Nezet-Seguin & Philadelphia Orchestra (DG 2015).
Trifonov
The Carnegie Recital
(DG 2013).
DVD
Daniil Trifonov
The magigs of Music & The Castelfranco Veneto Recital
1 DVD
(Christopher Nupen 2014).
Radio
Daniil Trifonov in Verbier
Do, 11.8., 19.30 SRF 2 Kultur