Als Grenzgänger würde man ihn bezeichnen: Als jemanden, der gewandt die Spartentrennung von Jazz und Klassik überwindet, mühelos ebenso für ein Orchester wie für eine Combo schreibt. Beides verbindet und wenn nötig auch selbst noch auf seinem Saxofon mitmischt. Und doch zögert man. Daniel Schnyder ist zwar ein Meister des Crossover, wie man noch vor einigen Jahren gesagt hätte. Doch er lässt schon fast vergessen, dass diese Grenze existiert – so selbstverständlich bewegt er sich zwischen den musikalischen Kontinenten.
Immer in Bewegung
Drei Opern, vier Sinfonien, zahlreiche Konzerte und viel Kammermusik sind entstanden. Er komponierte zum Beispiel für Abdullah Ibrahim, Lee Konitz und Paquito D’Rivera, für die Berliner Philharmoniker und das Absolute Ensemble aus NYC. Neuste Aufträge sind ein sechstes Streichquartett für das Artemis Quartett und ein grosses Musiktheater für die Philadelphia Opera Company.
Interkontinental ist schliesslich auch Schnyders Lebensweise. Seit Jahrzehnten schon lebt er in New York, regelmässig aber tritt er in Europa auf, gibt Meisterkurse an Hochschulen und konzertiert, so jetzt im KKL, um seinen anstehenden 50. Geburtstag zu feiern. Natürlich bewegt er sich auch dabei wieder auf mehreren Gebieten.
Nun muss man gleich anfügen, dass diese «Grenzüberschreitung» nicht von der saloppen Art ist: Daniel Schnyder weiss aus Erfahrung, wie viel Swing er einem klassischen Orchestermusiker abverlangen darf, und ebenso, in welche Harmonik er einen Musiker aus dem karibischen oder arabischen Raum «einbetten» muss, damit sich dieser wohlfühlt, und das Klangambiente stimmt. Längst hat sich Schnyder auch weiterbewegt: Hin zur lateinamerikanischen Musik, die den Jazz mitgeprägt hat, dann zur afrikanischen Musik, die durch die Sklaven in die Karibik gebracht wurde, und schliesslich zur arabischen, die mit dem Islam nach Westafrika kam. So ziehen sich weite Beziehungslinien um den Globus, und einige davon bringt Schnyder zum Klingen. In Luzern wird dies vor allem orientalische Musik sein.
Wie ein Tatzelwurm
Seit er 2001 im Libanon spielte, kennt er Bassam Saba, einen heute in New York lebenden libanesischen Virtuosen auf der Nay. Diese arabische Flöte hat kein Mundstück. Sie sei deshalb unglaublich schwer zu spielen, sagt Schnyder, der auch auf der Querflöte ausgebildet ist. Für Saba hat er das «Nay Concerto» komponiert, das im Zentrum des Luzerner Konzerts steht. Für europäische Musiker ungewöhnlich sind dabei die arabischen Rhythmen, 7/8- und 10/8-Takte, sowie die Tonskalen, die Vierteltöne enthalten und unserer Dur-Moll-Tonalität nicht entsprechen.
Schnyder bettet die Nay in eine Cluster-Harmonik ein, die ihr Raum lässt. Improvisierend entfaltet Bassam Saba darin seine Verzierungen – kleine Ornamente und die längeren und melodischeren Melismen – wie einst bei uns die Barockmusiker. Dadurch öffne sich der «östliche Raum für unsere Ohren», sagt Schnyder. Wie «ein langer Tatzelwurm» winde sich das mehrteilige Konzert verführerisch durch mehrere Klangregionen.