Heinrich Detering: Zu deinen Prägungen: Du warst ja kaum über die ersten Lektüren hinaus, als du schon selber zu schreiben begonnen hast. Ich weiss nicht, wie alt du warst, als dein erster Erzähltext gedruckt erschien.
Daniel Kehlmann: Einundzwanzig, als ich ihn geschrieben habe, zweiundzwanzig, als er erschien.
Da du in einem literarischen Haus aufgewachsen bist, war das Geschichtenschreiben für dich eine normale Art, dich zu äussern?
Das Schreiben ja, das Veröffentlichen aber dann doch nicht. Ich hatte nicht geplant, dass «Beerholms Vorstellung» gleich schon erscheinen sollte, ich wollte einfach etwas Längeres schreiben, eine längere Erzählung, und sehen, wohin mich das führt. Aber war das Schreiben eine normale Art, mich zu äussern? Eher notwendig als normal. Ich wollte unbedingt schreiben. Die Veröffentlichung war allerdings eine grosse Überwältigung.
Und es gab doch auch gleich den ersten critical acclaim, oder?
Es gab einiges an Zustimmung, ja, es gab aber auch einige extrem bösartige Kritiken, und zwar bösartig in einem Masse, wie man es Debütanten sonst grundsätzlich nicht entge-genbringt. Was ich eigentlich nur damit erklären kann, dass mein Vater damals in Österreich eine bekannte Person war und man vielleicht über den Sohn den Vater treffen wollte (Anm. d. Red.: Regisseur Michael Kehlmann). Aber ja, es gab auch einige wunderschöne zustimmende Reaktionen. Fritz Rudolf Fries schrieb eine Hymne im «Neuen Deutschland», das hat mir sehr viel bedeutet. Ich habe ihn später getroffen, und ich war ihm mein Leben lang dankbar. Jürg Laederach, ausgerechnet, hat den Roman damals auch besprochen …
… und der kam aus einem wirklich sehr anderen Literaturverständnis als Fries.
Und seine Rezension war leider völlig unverständlich; sie war stilistisch so verklausuliert und seltsam, dass man irgendwie schon gemerkt hat, das hat ihm gefallen, aber man hat nicht verstanden, was er eigentlich darüber sagte.
Gefreut hat es mich trotzdem sehr. Aber in der Wiener Zeitung «Die Presse» – das Buch war ja in einem österreichischen Verlag erschienen – schrieb ein Rezensent, dessen Namen ich mir gemerkt habe, von dem ich aber nie wieder gehört habe und der auch nie wieder ein Buch rezensiert hat, der sich also, glaube ich, nur zu diesem Zwecke aus den Pforten der Hölle materialisiert hat und wieder in die Hölle verschwand, tatsächlich, der Roman wäre so schlecht, dass man ihn im Klo runterspülen müsste.
Wie hiess der Höllenbote denn?
Ich möchte nicht, dass sein Name hier verewigt wird. Ich weiss den Namen noch, aber ich gönne ihm nicht das Überdauern im Bernstein unseres Buches. Er hat auch nie wieder eine Rezension verfasst. Ich habe nachgeschaut. Übrigens rief mich damals der Regisseur und Schauspieler Walter Davy, ein Freund meines Vaters, an, sagte: «Gewöhn dich dran!» und legte wieder auf. Das war sehr brutal, aber es war vielleicht der hilfreichste Ratschlag, der mir je gemacht wurde in meiner Laufbahn.
Schon dieser Debütroman war vom Titel angefangen ganz dein Buch. Man liest ihn wieder und denkt, klar, das ist von Kehlmann. «Beerholms Vorstellung», das ist der Auftritt eines Zauberkünstlers, es ist Beerholms Welt als Wille und Vorstellung, es ist ein Spiel mit Artistenfiguren auf der Romanbühne bis ins Kalkül des Zaubertricks, der sich anders entwickelt als geplant.
Leider ist das Buch nie richtig lektoriert worden. Es hat viele von den stilistischen Ungeschicklichkeiten, sagen wir: dem Mangel an Routine und Erfahrung eines Debütromans, und es hat auch die typische Neigung eines Debütanten, möglichst viel hineinzupacken von dem, was einen beschäftigt und interessiert … Das Buch wird sehr wenig gelesen, nach wie vor. Selbst Leute, die sich sonst für meine Arbeit interessieren, lesen «Beerholms Vorstellung» normalerweise nicht.
Während erstaunlich viele Leute der Überzeugung sind, du hättest erst mit «Die Vermessung der Welt» als Schriftsteller angefangen.
O ja, ganz viele. Wenn jemand zu mir sagt, ich habe Ihr erstes Buch gelesen, dann ist fast immer «Die Vermessung der Welt» gemeint. Daran bin ich schon gewöhnt. Aber für mich ist «Beerholms Vorstellung» nicht nur ein Buch, für das ich mich nicht schäme. Es ist ein Buch, das mir sehr wichtig ist, und von dem ich auch glaube, dass es – also wie gesagt, man muss immer aufpassen, dass man nicht versucht, Wertungen vorzugeben, es wird mit Recht ungern gesehen, wenn man als Autor seine eigenen Werke kategorisiert – aber ich glaube, dass es bis zur «Vermessung» mein bestes Buch war. Es steht mir noch immer sehr nahe, und ich wünsche ihm Leser. Es kommt ja vor, dass man sein Debüt lieber verstecken möchte, aber das ist bei mir nicht der Fall.
Wenn du mal von der zärtlichen Liebe zu deinem Erstgeborenen absiehst, was ist es an diesem Buch, das du mit der «Vermessung» oder «Ich und Kaminski» oder «Der fernste Ort» vergleichst?
Das Spiel mit einem unzuverlässigen Ich-Erzähler. Es ist ein arg auf die Spitze getriebener unzuverlässiger Ich-Erzähler. Beerholm ist einer der unzuverlässigsten unzuverlässigen Ich-Erzähler überhaupt, das liegt natürlich auch daran, dass er Zauberer ist. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich wieder etwas so in sich Geschlossenes schreiben konnte. Wenn ich heute darin blättere, denke ich, es ist erstaunlich, wie bewusst das komponiert ist, ich war doch so jung. Es klingt albern, wenn man das selbst sagt, aber du hast mich gefragt.
You’re younger than that now. Also in «Tyll» bist du jünger als damals, oder?
Ja. I’m much younger than that now, also wirklich, was für eine tolle Zeile! Wir teilen ja die Liebe zu Bob Dylan, auch wenn ich bei Weitem nicht deine Kenntnisse habe, immerhin hast du eine der besten Dylan-Einführungen überhaupt geschrieben. Aber ich liebe diese Zeile. Ja, ich bin jetzt jünger.
Auszug aus: «Der unsichtbare Drache»
Daniel Kehlmann
«Einer der subtilsten und zugleich witzigsten Schriftsteller im Europa der Gegenwart», schreibt «The Guardian» über den deutsch-österreichischen Schriftsteller Daniel Kehlmann. Er ist 1975 in München geboren, hat Philosophie und Germanistik studiert und lebt heute in Berlin und New York. Für seine Werke wurde er vielfach ausgezeichnet. Zu seinen Bestsellern gehören «Ich und Kaminski» (2003) und «Die Vermessung der Welt» (2005). Zuletzt ist der Roman «Tyll» erschienen.
Buch
Daniel Kehlmann
Der unsichtbare Drache. Ein Gespräch mit Heinrich Detering
224 Seiten
Erscheint am Mo, 6.5., im Kampa Verlag