Vor kurzem ist mein neues Buch erschienen. «Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen» ist eine Liebesgeschichte, die in Zürich spielt und auf die Fragen abzielt: Wie lebt es sich bei uns, so gut und schön? Und: Befähigt uns die Kunst, tiefer zu empfinden?
Eine der häufigsten Fragen zum Buch lautet, ob ich mich als politische Autorin verstehe. Diese Frage, mit der wohl die Brücke zu meinem vorletzten Buch, einem Bukarest-Roman, geschlagen werden sollte, erwischte mich immer auf dem falschen Fuss, zumal meine Antworten weit weg vom Thema meines neuen Buches führen. Wirklich verwirrend wurde es auf der Leipziger Buchmesse.
Da Rumänien Gastland der Messe war und meine rumänischen Kollegen und ich als schweizerisch-rumänische Autorin viele Auftritte absolvierten, hatte ich uns gelbe Anstecker mit der Aufschrift #Rezist mitgebracht. «Rezist», auf Deutsch «durchhalten», «widerstehen», lautet das Motto der Protestbewegung der rumänischen Zivilgesellschaft gegen die aktuelle hochkorrupte Regierung. In Zürich ist die #RezistZürich-Gruppe mittlerweile ein Verein nach Schweizer Statuten, der Kundgebungen auf der Rathausbrücke organisiert und Kampagnen zur Sensibilisierung der gesellschaftlichen Instanzen veranstaltet hat, die in Rumänien auf grosse Resonanz stiessen. Auch die gelben #Rezist-Anstecker für die Auftritte bei der Leipziger Buchmesse kamen vom Zürcher Rezist-Verein. Die Tatsache, dass die Anstecker von fast allen rumänischen Autoren sowie von Übersetzern, Verlegern und Moderierenden getragen wurden, schlug in Rumänien hohe mediale Wellen – ebenso die Nachricht, dass wegen der Anstecker kein einziger rumänischer Minister das Gelände der Buchmesse betreten oder sonst eine Veranstaltung in der Stadt besucht hat.
Hierzu bedarf es für den zivilisierten Leser einer Erläuterung: Wie in Zeiten der kommunistischen Diktatur sieht sich in Rumänien die aktuelle Nomenklatura im Clinch mit den Schriftstellern des Landes, bekämpft und verunglimpft sie in den parteigetreuen Medien, was den Schreibenden eine Art Heldenruhm beschert hat: Die Schriftsteller sind zu Sprachrohren jener Zivilgesellschaft geworden, die sich langsam und zögerlich in den grösseren Städten Rumäniens formiert, sie schreiben Kolumnen zu politischen Tagesthemen, treten regelmässig in Radiosendungen auf oder sind selber Moderierende geworden, gehen bei Demos zuvorderst und senden tagtäglich Widerstandsaufrufe über die sozialen Medien. Sie nutzen das Scheinwerferlicht, das ihnen als Schreibende zuteilgeworden ist, um sich für die Demokratie, eine unabhängige Justiz und überhaupt für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.
Dass ihnen dieses Scheinwerferlicht überhaupt zur Verfügung steht, ist umso wunderlicher, als in Rumänien kaum noch Literatur gelesen wird. Rumänien befindet sich, was Buchkäufer anbelangt, europaweit auf dem letzten Platz, mit nur 2 Prozent der Gesamtbevölkerung; auf dem zweitletzten Platz findet sich Bulgarien mit schon 10 Prozent. Die einzige Erklärung für den Ruhm der Schreibenden ist, dass die Literatur in Rumänien nach wie vor aus Prinzip geschätzt wird. Man ist sich einig, dass die Literatur an sich ein hohes Gut ist, nur dass man bedauerlicherweise keine Gelegenheit habe, um sich damit zu befassen.
«Verstehen Sie sich als politische Autorin?», fragt man mich auch im deutschsprachigen Raum des Öfteren. Nun, ich versuche, meine Bürgerinnenpflichten wahrzunehmen, sowohl in Rumänien als auch in der Schweiz. Ich gehe wählen und abstimmen, und ich beteilige mich am gemeinschaftlichen Leben. Seit drei Jahren organisiere ich monatliche Benefiz-Lesungen in Zürich, bei denen Schriftstellerkollegen aus ihren neuen Büchern lesen, der Erlös der Abende geht vollumfänglich an die Flüchtlingshilfegruppen am Mittelmeer. Auch bin ich, zusammen mit Charles Lewinsky und Ruth Schweikert, in der Jury des Literaturwettbewerbs «freier Sechseläutenplatz», unterstütze die Initiative, die der Stadt Zürich einen grosszügigen, weiten Platz im Herzen der Stadt behalten soll. Macht mich das zur politischen Autorin?
«Verstehen Sie Ihre Literatur als politisch?», hakt man nach, in Erwartung einer positiven Antwort, die meine Literatur, zumindest für den Moment des Interviews, womöglich aufwerten sollte.
«Ich würde nie ein Buch schreiben ohne eine politische Botschaft», sagte unlängst ein deutscher Autor, mit dem ich in St. Gallen aufgetreten bin. Wieder stand die Frage im Raum, ob auch ich meine Literatur als politisch verstehe. Ich sah, wie mir jemand im Publikum schon zunickte.
Es wäre simpel und effektvoll, mit Ja zu antworten, und, wenn die Bühne dafür schon bereitet ist, mich als politische Vorkämpferin zu inszenieren. Im selben Atemzug über Kunst und Politik zu sprechen, schien mir aber bislang anrüchig, weil ich, im kommunistischen Rumänien, mit politisierter Kunst aufgewachsen bin: Als Schulkind musste ich die sogenannte Literatur des «Proletkultismus» lesen, und ich erinnere mich, wie banal sie auch dem Kind von damals vorkam: eine Konzeptliteratur, die keine Fragen offen liess, also zu leicht zu verstehen und auch sehr leicht zu vergessen war. Ich konnte mich bis jetzt dieser Art von Literatur, die man Zeigefingerliteratur nennen könnte, entziehen. Ich befinde mich in meinen Büchern auf der Suche nach Sinn und Sinnlichkeit.
Und dann also sagte ich unverhofft doch noch Ja, meine Literatur sei politisch, denn die Suche nach dem treffendsten Ausdruck für ein Bild und einen Sachverhalt sei ein politischer Akt. Zur Politik gehöre die Befähigung des Einzelnen, seine Stimme zu erheben, einen Ausdruck zu finden für seine Belange. Literatur sei an sich politisch, indem sie die Reflexion des Lebens durch den Einzelnen – ob Leser oder Autor – hervorbringe. «Sie haben so recht», kommentierte eine Frau aus dem Publikum, «die Literatur hilft mir beim Formulieren, wenn ich Briefe schreibe.»
Dana Grigorcea
Dana Grigorcea ist 1979 in Bukarest geboren, wo sie Deutsche und Niederländische Philologie studierte. Seit 2007 lebt die Autorin mit Mann, Tochter und Sohn in Zürich. 2015 erschien ihr Roman «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit» im Zürcher Dörlemann Verlag. Für einen Auszug daraus wurde Grigorcea am Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015 mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet. Diesen Frühling erschien ihre Novelle «Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen».