Wenn sich nur ein Schritt wieder rückgängig machen liesse, ein Schritt, der den Tod gebracht hat. Der Ich-Erzähler im neuen Roman von Andreas Neeser hadert mit dem Schicksal. Im vergangenen Sommer ist seine Geliebte Véro in den gemeinsamen Ferien an der bretonischen Küste ums Leben gekommen. Die beiden wurden auf einer Felsplatte von einer mächtigen Welle überrollt: Er hat überlebt, sie ist «zwischen den Wassern» untergegangen. Seither findet der Ich-Erzähler, ein Geografielehrer mittleren Alters, nicht mehr ins Leben zurück. Mit der Rückkehr an den Unglücksort erhofft er sich Linderung vom Schmerz – und eine Versöhnung mit dem Atlantik, der ihm sein Liebstes geraubt hat.
Der 49-jährige Aargauer Autor stellt in seinem Roman einen Trauernden in den Mittelpunkt. Er schildert die Schuldgefühle des Überlebenden, seinen aussichtsslosen Wunsch, den Tod rückgängig machen zu können – bis hin zum Akzeptieren des Unwiderruflichen. Zur Verarbeitung der Trauer schichtet der Ich-Erzähler täglich einen Stein auf einem Felsvorsprung auf. Und er streut ein zerrissenes Ferienfoto in alle Winde. Stein um Stein, Bild um Bild – «bis es unseren Urlaub hier so nicht gegeben haben wird».
Sein Freund, der Auswanderer Max, rät ihm zur radikalen Konfrontation: «Wenn du nicht dahin gehst, wo es wehtut, packst du das nie.» Ins Meer tauchen soll er und damit seine Ängste vor dem unberechenbaren Atlantik überwinden. Doch der Ich-Erzähler geht seinen eigenen Weg.
Grausam und sanft
Neeser lotet wie bereits in seinem Erzählband «Unsicherer Grund» und im Roman «Fliegen, bis es schneit» in poetischer Sprache die feinen Zwischentöne aus, erzählt von Menschen, die den Boden unter den Füssen verlieren. Der Autor hat für seinen Roman vor Ort im bretonischen Feunteun Aod recherchiert und mit den Fischern gesprochen. In Nebensträngen ist von Sagen und Legenden der archaischen Landschaft zu hören. Und, als wiederkehrendes Symbol, vom Meer, das seine grausamen und sanften Seiten offenbart.
Als Gegenpol zum suchenden, feingliedrigen Geografielehrer steht der Steinbildhauer Max: Ein Koloss von einem Mann, der wenig für ein erfülltes Leben braucht und sich unter den störrischen, vom Wind ausgeblasenen Bewohnern des Caps heimisch fühlt. «Mi-homme, mi-bête», den Halbwilden, nennen sie ihn liebevoll. In seiner einfachen, natürlichen Art tut er seinem trauernden Freund gut, der die seelischen Verstrickungen rational lösen will. Max selbst lebt mit sich und der Natur im Einklang und führt mit Sophie eine unverbindliche, leidenschaftliche Affäre. Nachdem sie an der Domestizierung des «Halbwilden» gescheitert ist, hat Sophie sich einen andern Mann genommen, der ihr mehr Sicherheit bieten kann. Mit den allmonatlichen Besuchen bei Max aber kehrt sie zurück zum Urtümlichen und hat sich damit ein «Refugium für ihre Träume» erhalten.
In Rückblenden erfährt der Leser auch von der Liebesgeschichte mit Véro, davon, wie alles angefangen und abrupt geendet hat. Und so erzählt Neeser nicht nur von Abschied und Trauer, sondern auch von Liebe und Begehren – und nebst dem Schmerz, den das Leben bereithalten kann, letztlich auch von der Lebenslust.
Buch
Andreas Neeser
«Zwischen zwei Wassern»
184 Seiten
(Haymon 2014).
Buchvernissage
Do, 13.2., 19.15
Aargauer Literaturhaus Lenzburg
Moderation: Manfred Papst