Die «Deklaration» irritiert noch heute. «Ich erkläre, dass Tristan Tzara das Wort DADA am 8. Februar 1916, um 6 Uhr abends eingefallen ist, ich war damals mit meinen 12 Kindern dabei, als Tzara dieses Wort zum ersten Mal aussprach, das in uns eine berechtigte Begeisterung auslöste. Dies ereignete sich im Café Terrasse zu Zürich, und ich trug gerade ein Brioche im linken Nasenloch …» Mit diesen Worten wies der elsässische Künstler Hans Arp seinem Freund Tristan Tzara (1896–1963) die Urheberschaft des Dada zu – zu Recht oder nicht, ist bis heute umstritten. Tzara war jedoch bestimmt der chaotische Ideengeber und künstlerische Aktivist.
Damals wie heute bleibt unklar, was genau unter Dada zu verstehen ist – das ist der Punkt der Bewegung. Aber noch immer beeindruckt die gedankliche Unabhängigkeit der damaligen Protagonisten. Europa steckte mitten im Ersten Weltkrieg. Der Nationalismus gehörte auf dem ganzen Kontinent zum politischen Credo, selbst bei der Linken. Aber einige Künstler liessen sich davon nicht beeindrucken, sie protestierten im Gegenteil mit einem auf den ersten Blick nihilistischen Bekenntnis zur Kunst.
Das Zürcher Kunsthaus erinnert nun in einer Ausstellung unter dem Titel «Dadaglobe Reconstructed» an die damalige Zeit mit Werken, die Tristan Tzara einst zusammengetragen hatte. Der Mann galt als Leuchtturm der Bewegung. Er war im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ein politischer Kopf. Tzara kämpfte später im Spanischen Bürgerkrieg gegen die faschistische Falange und schloss sich im Zweiten Weltkrieg dem kommunistischen Flügel der französischen Résistance an.
Im Zigarettendunst
Der ursprünglich aus Rumänien stammende Avantgardist versammelte in den 20er-Jahren über 200 Kunstwerke und Texte aus Europa, die ihm von Künstlern zugeschickt wurden. In langjähriger Recherchearbeit hat das Zürcher Kunsthaus die weltweit verstreuten Beiträge für diese Schau zusammengetragen. Selbstporträts, Collagen oder auch Buchseitenentwürfe, Gedichte sowie Essays zeigen, wie künstlerisch vielfältig und gesellschaftspolitisch bedeutsam dieser aussergewöhnliche Kreis war.
Drei Jahre nach der Dada-Episode im Zürcher «Terrasse» zog Tzara nach Paris und engagierte sich dort für den Dadaismus, zusammen mit Aktivisten wie den Autoren André Breton oder Philippe Soupault. Die Zusammenkünfte dieser Künstler müssen oft chaotisch gewesen sein: Heftige Debatten im Alkohol- und Zigarettendunst bis in die frühen Morgenstunden gehörten zum Alltag der kurzlebigen Bewegung. Der Interessenkonflikt entbrannte schon früh: Breton stellte sich eine organisierte Künstlergruppe vor, Tzara suchte das permanente Chaos.
Zu individualistisch
Da jeder unter Dada verstehen konnte, was er wollte, war eine kontinuierliche Entwicklung der Idee unmöglich – der Dadaismus war in den 30er-Jahren Geschichte. Einzelne Exponenten fielen als begnadete Selbstdarsteller auf, wie der Künstler Raoul Hausmann, der sich als «Dadasoph» der «Dadasophin» Hannah Höch zuwandte, die dummerweise schon verheiratet war, was einen echten Dadaisten nicht erschreckte.
Hans Arp erinnerte sich 1958 leicht verklärt an diese Zeit des Aufbruchs: «Dada ist gegen den Grössenwahn, den ‹Fortschritt›, die Rationalisierung und den Glauben, nur an Verkehrtes zu glauben. Heute können sich die Vernunftroboter schmunzelnd über ihren faulen Zauber die Hände reiben.» Klar ist damit, gegen was Dada war. Unklar bleibt, wohin die Bewegung genau wollte. Und das ist gut so.
Buch
Die Kunst des höheren Blödsinns
Der Band «Dada Almanach – vom Aberwitz ästhetischer Contradiction» versammelt zahlreiche Zeitzeugnisse
der Dadaisten. Ein tolles Werk.
Die Anleitung zu einem dadaistischen Gedicht tönt einfach, ist aber tückisch: «Nehmt eine Zeitung. Nehmt Scheren. Wählt in dieser Zeitung einen Artikel von der Länge aus, die Ihr Eurem Gedicht zu geben beabsichtigt ...». Man soll die Wörter einzeln ausschneiden, in einer «Tüte» durchschütteln und frisch zusammensetzen – fertig Dada. Mit diesen Worten führt Tristan Tzara den Leser in die praktische Dadaisten-Arbeit ein.
Der «Dada Almanach» enthält zahlreiche Schriftbilder, viele Bekenntnisse und Aufrufe, aber keine Bilder. Den heutigen Leser beeindruckt vor allem die Gegensätzlichkeit dieser Texte. Da steht ätzende Zeitkritik neben dem klugen Nonsens wie wohl kaum in einer andern Bewegung: «Die Schlacht ist unser Freudenhaus. Vom Blut ist unsre Sonne …», schrieb der Mitstreiter Hugo Ball 1916 in seinem Gedicht «Der Totentanz».
Anderes ist nur amüsant, Blödsinn der höheren Sorte: «Es gibt nichts zu tun. Sie können auf mich zählen. Ich pack es an», schrieb der Schriftsteller Jacques Rigaut (1898–1929), der sich in jungen Jahren das Leben nahm. Das ist der Vogel, der die hübsche Bekanntschaftsannonce dichtete: «Armseliger, junger Mann, mittelmässig, 21 Jahre, seriös, wünscht Frau zu heiraten, 24 Zylinder, gesund, Erotomanin oder annamitisch sprechend.» Ungewiss ist, ob er fündig wurde. Falls ja, dürfte die Auswahl an Kandidatinnen nicht überwältigend gewesen sein.
Dada 2016
Ausgewählte Veranstaltungen und Sendungen
Ausstellungen
Hans Arp
Sa, 30.1.–So, 22.5. Kunstmuseum Winterthur
Dadaglobe Reconstructed
Fr, 5.2.–So, 1.5. Kunsthaus Zürich
Friedrich Glauser – Ce n’est pas très beau
Fr, 5.2.–So, 1.5. Strauhof Zürich
Dada Universal
Fr, 5.2.–Mo, 28.3. Landesmuseum Zürich
Dada anders
Do, 25.2.–So, 8.5. Haus Konstruktiv Zürich
Dada Africa
Fr, 18.3.–So, 17.7. Museum Rietberg Zürich
Weitere Veranstaltungen
Obsession Dada – 165 Feiertage
Fr, 5.2.–Mo, 18.7. Cabaret Voltaire Zürich
Dada zwischen Wahnsinn und Unsinn
Fr, 3.6.–So, 26.6. Zürcher Festspiele
Übersicht über Veranstaltungen
www.dada100zuerich2016.ch
Radiosendungen
«What a b what a b what a beauty»
Dada-Nachkommen auf der Bühne
Mi, 10.2., 20.00 Radio SRF 1
Hörspiel: «Onomatisch syllabische Sprechmusik»
Von Frieder Butzmann
Sa, 6.2., 21.00 Radio SRF 2 Kultur
Fernsehsendungen
«Von Dada bis Gaga»
Dreiteilige Dokumentationsreihe:
«Jeder Mensch ist ein Künstler» (1)
«Kunst und Revolution» (2)
«Der Künstler ist anwesend» (3)
Sa, 6.2., 02.55–05.10 3sat